GHDI logo

Hermann von Helmholtz: Auszüge aus einer Rede aus Anlass seiner Berufung als Prorektor an der Universität Heidelberg (1862)

Seite 8 von 9    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument     


Diese Entdeckung des Gravitationsgesetzes und seiner Consequenzen ist die imponirendste Leistung, deren die logische Kraft des menschlichen Geistes jemals fähig gewesen ist. Ich will nicht sagen, dass nicht Männer mit ebenso grosser oder grösserer Kraft der Abstraction gelebt hätten, als Newton und die übrigen Astronomen, welche seine Entdeckung theils vorbereitet, theils ausgebeutet haben; aber es hat sich niemals ein so geeigneter Stoff dargeboten, als die verwirrten und verwickelten Planetenbewegungen, die vorher bei den ungebildeten Beschauern nur astrologischen Aberglauben genährt hatten, und nun unter ein Gesetz gebracht wurden, welches im Stande war, von den kleinsten Einzelheiten ihrer Bewegungen die genaueste Rechenschaft abzulegen.

An diesem grössten Beispiele und nach seinem Muster hat sich nun auch eine Reihe von anderen Zweigen der Physik entwickelt, unter denen namentlich die Optik und die Lehre von der Elektricität und dem Magnetismus zu nennen sind. Die experimentirenden Wissenschaften haben bei der Aufsuchung der allgemeinen Naturgesetze den grossen Vortheil vor den beobachtenden voraus, dass sie willkürlich die Bedingungen verändern können, unter denen der Erfolg eintritt, und sich deshalb auf eine nur kleine Zahl charakteristischer Fälle der Beobachtung beschränken dürfen, um das Gesetz zu finden. Die Gültigkeit des Gesetzes muss dann freilich auch an verwickelteren Fällen geprüft werden. So sind die physikalischen Wissenschaften, nachdem einmal die richtigen Methoden gefunden waren, verhältnissmässig schnell fortgeschritten. Sie haben uns nicht nur fähig gemacht, Blicke in die Urzeit zu werfen, wo die Weltennebel zu Gestirnen sich zusammenballten und durch die Gewalt ihres Zusammendrängens glühend wurden, nicht nur erlaubt, die chemischen Bestandtheile der Sonnenatmosphäre zu erforschen — die Chemie der fernsten Fixsterne wird wahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen — sondern sie haben uns auch gelehrt, die Kräfte der uns umgebenden Natur zu unserem Nutzen auszubeuten und sie unserem Willen dienstbar zu machen.

Aus dem Gesagten wird nun schon erhellen, wie verschieden von der erst besprochenen ihrem grössten Theile nach die geistige Thätigkeit in diesen Wissenschaften ist. Der Mathematiker braucht gar kein Gedächtniss für einzelne Thatsachen, der Physiker sehr wenig davon zu haben. Die auf Erinnerung ähnlicher Fälle gebauten Vermuthungen können wohl nützlich sein, um zuerst auf eine richtige Spur zu bringen; Werth bekommen sie erst, wenn sie zu einem streng formulirten und genau begrenzten Gesetze geführt haben. Der Natur gegenüber besteht kein Zweifel, dass wir es mit einem ganz strengen Causalnexus zu thun haben, der keine Ausnahmen zulässt. Deshalb ergeht an uns auch die Forderung, fortzuarbeiten, bis wir ausnahmslose Gesetze gefunden haben. Eher dürfen wir uns nicht beruhigen; erst in dieser Form erhalten unsere Kenntnisse die siegende Kraft über Raum und Zeit und Naturgewalt.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite