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Der Journalist Johannes Gross plädiert für eine urbanere Berliner Republik (1995)

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Die erste Wanderungsbewegung der Vorstände wird aber schon genügen, neben den Großverbänden und den Hunderten von kleinen eine für die Veränderung der politischen Kommunikation hinreichende Präsenz der Wirtschaft zu stellen. Abgesehen von den überregionalen Medien, die gewiß nicht nur Redaktionen nach Berlin umtopfen, sondern auch die verlegerischen Aktivitäten, wird sich die Frage der Rückkehr nach Berlin sehr rasch für die Vielzahl der Unternehmen stellen, die den Namen der Hauptstadt in ihrem eigenen führen und in der Zeit der Teilung geflüchtet waren. Hinzu treten gleich jene, für die die geschäftliche Beziehung zur Bundesregierung als Auftraggeberin geschäftswesentlich ist. [ . . . ]

Der Umzug großzügig entlohnter Wirtschaftsleute bringt noch kein Großbürgertum von Besitz und Bildung in die Stadt, doch eine Schicht, die es werden kann und sogleich seine Funktion erfüllt – Leute, die nicht nur ein Haus haben, sondern es auch öffnen. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung von Geselligkeit und Gesellschaft, an die sich auch politisches und akademisches Personal gewöhnen und anpassen wird. Das neue Geld kommt der Gastronomie zugute, die bislang einen weltstädtischen Anstrich nicht hat, und wird dazu beitragen, die Vulgarität im Straßenbild allmählich zu korrigieren. Erst mit diesem Umzug wird der Kurfürstendamm eine Chance haben, mit dem Faubourg St. Honoré, der Fifth Avenue vergleichbar zu sein. Zugleich gewinnt Berlin ein Publikum wieder, das mit einer Presse versorgt sein möchte, die sich mehrsilbig auszudrücken nicht scheuen muß. Wer den bisherigen Zustand der Berliner Publikationen beklagt, übersieht die große Leistung, die darin gelegen hat, ohne eine hauptstädtisch gestimmte und gebildete Leserschaft überhaupt Zeitungen hervorzubringen, die Beachtung finden konnten.

Die Deutschen, die sich an die Bonner politische Wirklichkeit durch drei Generationen gewöhnt hatten, müssen noch lernen, daß sie die Ausnahme war und daß die berlinische normal sein wird. Im hauptstädtischen Dialog der Führenden und Einflußnehmenden in Politik, Wirtschaft und Medien, der den Hauptstädten alltäglich und selbstverständlich ist, werden auch einige Malaisen verschwinden, unter denen die Bundesrepublik nur deshalb nicht gelitten hat, weil sie sie kaum bemerkte. Dazu gehört die Sprachlosigkeit der Eliten untereinander wie im Umgang mit der demokratischen Öffentlichkeit. Es gehört dazu die für eine große Industrie- und Exportnation nicht hinnehmbare Wirtschaftsfremdheit der Politiker wie die ebenso schädliche politische Naivität, die das Gros der deutschen Unternehmer prägt. Vor allem gehört dazu der Abstand zwischen Medienbetreibern und der Politik wie der Wirtschaft.



Quelle: Johannes Gross, Begründung einer Berliner Republik. Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1995, S. 85-94, 97, 98-99.

Johannes Gross, Begründung einer Berliner Republik.
© 1995 Deutsche Verlags-Anstalt, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH

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