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Interview mit Rainer Eppelmann über die SED Enquete-Kommission (3. Mai 1992)

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Eppelmann: Das ist eine ganz komplizierte Frage. Wenn Sie mit »sauber bleiben« meinen, daß man in dieser DDR leben konnte, ohne Kompromisse zu machen, dann muß ich sagen: Nein, das ging nicht. Zu unserem menschlichen Leben, auch zum Leben der Menschen in der DDR wie zu denen in der alten Bundesrepublik, gehört es dazu, zu begreifen, daß nicht alle meine Vorstellungen, nicht alle meine Wünsche, nicht alle meine Ideen in Erfüllung gehen können oder sich verwirklichen lassen. Ich werde also das, was ich gerne möchte, ins Verhältnis setzen müssen zu dem, was möglich zu sein scheint, und dann einen Kompromiß finden müssen. Das ist zunächst für mich noch nichts Schmutziges. Das würde ich moralisch nicht negativ bewerten wollen. Das tritt für mich erst dann ein, wenn derjenige einen solchen Kompromiß, den er eingeht, auf Kosten eines anderen eingeht, zu seinen eigenen Gunsten. Das, meine ich, ist nicht nötig gewesen. Das ist für mich zum Beispiel eine ganz entscheidende Stelle, wo ich frage: Wo ist tatsächliche Schuld da? Schuld, die auch eine Sühne erfordert, wo dann möglicherweise, wenn ein Schuldeingeständnis da ist, auch Vergebung folgen kann. Vergessen wahrscheinlich nicht, das können wir nicht bestimmen, aber vergeben. Ich gestehe jedem Menschen zu – wer möchte schon gar als Held oder Heiliger oder Märtyrer sterben –, daß man Kompromisse machen muß, wenn man nicht als Robinson Crusoe leben will. Mit anderen zusammen, das geht ja bis in die Familie, also bis in die Gemeinschaft derer hinein, die voneinander sagen, wir haben uns lieb – auch da muß man Kompromisse eingehen. Aber diese Kompromisse dürfen anderen nicht ihre Lebensmöglichkeiten nehmen.

Jetzt komme ich wieder zu dem aktuellen Thema zurück. Sehr wohl ist es meiner Meinung nach das Recht und die Pflicht der evangelischen Kirche gewesen, in der DDR Kompromisse mit diesem Regime einzugehen, um Lebensmöglichkeiten, Glaubensmöglichkeiten für Christen zu erhalten oder sogar zu vergrößern. Wenn dies aber dadurch passiert ist, daß man einzelnen, daß man anderen geschadet hat, dann ist dieser Kompromiß über eine Grenze hinweggegangen, über die er eigentlich nicht hätte hinausgehen dürfen. Die Kirche schon gar nicht, die für sich in Anspruch nimmt: Wir möchten alle Nachfolger dieses Jesus von Nazareth sein. Da wäre für mich noch einmal ein qualitativer Unterschied zwischen allen anderen – allen Parteien, Vereinigungen und, und, und – und dieser Kirche Jesu Christi.

DLF: Wie beurteilen Sie die stärker werdende Kritik insbesondere von Sozialdemokraten an der Arbeit der Gauck-Behörde? Es ist da von Inquisition die Rede, von Groschenromanen, die erstellt würden, von der Umkehr rechtsstaatlicher Prinzipien.

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