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Interview mit Rainer Eppelmann über die SED Enquete-Kommission (3. Mai 1992)

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Eppelmann: Ganz sicher hat sie sich nicht immer richtig verhalten. Mit großer Überzeugung vertritt die evangelische Kirche den Satz, daß auch Konzilien irren können. Das wird ja wohl nicht nur für katholische Konzilien gelten, sondern auch für evangelische. Die Frage möchte ich zunächst einmal aus einer ganz allgemeinen menschlichen Erfahrung beantworten. Da muß ich natürlich sagen, daß selbst die Kirchenleitung der evangelischen Kirche in der DDR Fehler gemacht hat, zum Beispiel aus dem Grund, daß wir trotz der Trennung von Staat und Kirche, einem von Staat wie Kirche anerkannten Prinzip, doch eine ganze Reihe von Vorrechten hatten, die andere Vereinigungen nicht gehabt haben. Wir konnten Glocken läuten – das ist vielleicht noch etwas relativ Nebensächliches –, wir haben die Möglichkeit gehabt, über Gleichgesinnte in der Bundesrepublik, also evangelische Christen in der Bundesrepublik, Geld zu bekommen, um Kirchen wieder aufzubauen, um diakonische Einrichtungen, Krankenhäuser einzurichten oder deren Ausrüstung zu verbessern. Wir sind Menschen gewesen, die – zumindest in leitenden Positionen – die DDR zu Dienstreisen verlassen konnten zu einer Zeit, als das anderen gar nicht möglich gewesen ist. Es gab kirchenleitende Persönlichkeiten, die einen Dauerpaß hatten. Sie haben also praktisch zu jeder Zeit in den Westen kommen können.

Verständlicherweise ist die Kirche auch immer wieder in der Versuchung gewesen, sich diese Privilegien und Vorrechte zu erhalten, sie nicht zu riskieren, sie nicht zu verlieren. Wenn Sie dann noch an das wichtigste Privileg denken, daß die Veranstaltungsverordnung der DDR der Kirche als der einzigen Organisation zugestand, ihre gottesdienstlichen Veranstaltungen vorher nicht anmelden zu müssen – dieser Zustand war ein Grund dafür, daß die Fülle von Friedensgruppen in der DDR sich unter dem Dach der evangelischen Kirche gemeldet haben –, dann ist mir das sehr, sehr verständlich, daß wir uns da auch immer wieder unter dem Druck befanden: Laßt uns die wenigen Freiräume, die wir haben, halten oder sogar ausbauen. Dieses Bemühen, das ich unterstützte, hier Freiräume auszubauen, auszuhalten, ist ja nicht nur für die Amtskirche gewesen, sondern für die fünf Millionen bis sechs Millionen Christen und in zunehmendem Maße darüber hinaus auch für andere Menschen. Aber ich kann mich inzwischen des Eindrucks nicht mehr erwehren, und Einsicht in eigene Akten oder auch in andere Akten belegen inzwischen, daß bei dem von mir unterstützten Bemühen, hier Freiräume zu erhalten und zu vergrößern, Einzelne doch immer wieder mal unbequeme Redner oder Mahner oder auch Demonstrierer haben im Regen stehen lassen oder auch einmal verraten haben.

[ . . . ]

DLF: Sie haben einmal gesagt, daß alle Bürger der DDR auf irgendeine Art Huren gewesen wären, daß sie sich alle haben benutzen lassen vom SED-Staat. Konnte man unter den Bedingungen des realen Sozialismus politisch-moralisch in der DDR nicht sauber bleiben?

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