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Interview mit Rainer Eppelmann über die SED Enquete-Kommission (3. Mai 1992)

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Eine zweite Gruppe wird sich mit dem Zustand einzelner Archive befassen, zum Beispiel dem SED-Archiv, dem Staatssicherheitsarchiv, dem Archiv des Politbüros, der Blockparteien, sie wird danach zu fragen haben, was ist zum Beispiel im Herbst 1989 oder im Frühjahr 1990 in diesen Archiven und aus welchen Gründen vernichtet worden, mit welchen Motiven? Eine dritte Gruppe wird sich mit Struktur und Arbeitsweise der Staatssicherheit befassen, in dem Versuch und in dem Bemühen, zu Bewertungskriterien zu kommen. Ich wage Ihnen wenigstens noch zwei Bereiche zu nennen, von denen ich den Eindruck habe, daß sie ganz sicher auch eine große Rolle in unserer Kommission spielen werden. Das ist einmal der ganze Bereich der Wirtschaft und der Bereich von Kultur, Sport, Kirchen. Uns ist deutlich, darüber sind wir uns auch einig, daß wir nicht alle Komplexe, die mit der DDR-Geschichte etwas zu tun haben, aufarbeiten, vertiefen können. Wir werden uns also einzelne Schwerpunkte heraussuchen müssen, in der Hoffnung, daß wir da tatsächlich zu Ergebnissen kommen. Uns ist wichtig, daß deutlich wird: Es geht um die vielen Menschen. Es wäre ganz fatal, wenn wir den Eindruck nicht vermeiden könnten, daß wir zweieinhalb Jahre nur über Erich Honecker und Bärbel Bohley geredet haben. Wir müssen über das Leben der 16 Millionen reden und auch über das Verhalten der 60 Millionen, also der Westdeutschen, zumindest an den Stellen, wo sie direkt oder indirekt die Lebensverhältnisse in der DDR oder die Verhaltensweisen der dort Lebenden, der Regierenden wie der Regierten, durch ihr Tun oder Nichttun beeinflußt haben. Ob am Ende ein Zwischenbericht, ein Teilbericht oder ein Endbericht steht, das, glaube ich, kann Ihnen im Augenblick noch kein Mensch sagen.

DLF: Herr Eppelmann, in Leipzig ist im März ein »Forum zur Aufklärung und Erneuerung« gegründet worden, hauptsächlich initiiert von Leuten der ehemaligen DDR-Bürgerrechtsbewegung. Ist das eine Konkurrenz oder eher eine Ergänzung?

Eppelmann: Beides, und das schließt sich meiner Meinung nach nicht aus. Eine ganz sinnvolle Ergänzung, gleichzeitig aber auch ein Stück Konkurrenz, die uns unter Druck setzt: Nehmt Eure Arbeit nicht zu leicht, sonst werdet Ihr von denen blamiert. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ist die Antwort der Parlamentarier des Deutschen Bundestages auf die allgemein gestellte Frage: Wie kann man versuchen, DDR-Geschichte aufzuarbeiten? Eine Frage, mit der sich nach meinem Eindruck jeder ehemalige DDR-Bürger befassen sollte. Ich hätte also Lust, selbst wenn ich nicht weiß, was ich damit anstifte, möglichst vielen ehemaligen DDR-Bürgern Mut zu machen, über ihr Leben nachzudenken, das aufzuschreiben, daraus dann möglicherweise einen Brief zu machen oder einen Bericht und den abzuschicken, damit wir das zur Kenntnis nehmen können. Wir sind auf solche Formen der Zusammenarbeit mit möglichst vielen, also etwa auch mit dem Leipziger Forum, aber auch mit dem Domaschk-Archiv in Berlin zum Beispiel angewiesen oder auf das, was sich da Opfer-Täter-Gespräche nennt.

DLF: Sie selbst, Herr Eppelmann, kommen aus der kirchlichen DDR-Opposition. Sie haben sich bereits Anfang der achtziger Jahre mit dem Staat angelegt. Wenn ich recht informiert bin, war das Ihrer Kirchenleitung oft ein wenig unangenehm. Hat sich die Amtskirche zu DDR-Zeiten immer richtig verhalten?

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