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Politikverdrossenheit (2. Oktober 2006)

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Man resigniert vor sich hin (nur auf den Leuchttürmen ist das ganz anders) – und es wachsen Demokratiedefätismus und Demokratieverachtung. So gedeiht das Misstrauen gegen „die“ Politik.

Das ist nicht Folge eines politisch-genetischen Defekts, sondern der echten und vermeintlichen Erfahrungen vieler Menschen im Osten. Die Westdeutschen hatten in den fünfziger und sechziger Jahren das Glück, Demokratie parallel zum Wirtschaftswunder lernen zu dürfen; sie erlebten die Demokratie als eine Staatsform, in der sich ihre Lebenssituation verbesserte.


Schwärmen von der DDR

Viele Ostdeutsche erlebten dreißig Jahre später das Gegenteil; für sie war der Einzug der Demokratie begleitet von wachsender Arbeitslosigkeit und sozialer Degradierung. Heute glauben nicht wenige Ostdeutsche, dass ihnen einst die DDR-Machthaber über das Wesen des Kapitalismus gar nicht so viel Falsches erzählt haben. Sie fliegen nach Mallorca, schwärmen von der Gemütlichkeit der alten DDR und werden ziemlich ungemütlich, wenn es um Ausländer geht.

Generation Hartz IV: Es gibt eine neue Unterschicht, und das ist im Osten noch viel deutlicher als im Westen. Diese Unterschicht sieht keine Aufstiegschancen mehr, hat ihre Beziehung zur Zukunft verloren und ist nicht mehr erreichbar von dem, was man politischen Diskurs nennt.

Es handelt sich um „sozial Behinderte“, wie Reinhard Höppner, der frühere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und jetzige Präsident des Evangelischen Kirchentages, das formuliert. Diese neue Unterschicht bildet die Sympathisantenszene für den Rechtsextremismus, weil sie sich mit ihm in der Ablehnung des demokratischen Systems einig ist.

Die Menschen dieser neuen Unterschicht brauchen Lebenshilfe; sie brauchen eine Arbeit, die sie aus dem Fernsehsessel herausreißt und aus dem dumpfen Rhythmus der Resignation befreit.


Unkultur des Zurückweichens

Demokratie braucht Selbstbewusstsein. Neuerdings etabliert sich aber eine Unkultur des Zurückweichens: Kommunale Verwaltungen im Osten arrangieren sich mit den Rechtsextremisten, Bürgermeister faseln von einer „Demokratur“, die notwendig sei.

Zur Unkultur des Zurückweichens gehört auch die Zerschlagung der kulturellen Infrastruktur, die derzeit vor allem in Thüringen in Gang ist: Die Kulturetats werden halbiert, Theater geschlossen. Einen solchen Rückbau, den Rückbau von Kultur und Demokratie, kann aber kein Land vertragen – auch dann nicht, wenn daneben ein paar Leuchttürme stehen.



Quelle: Heribert Prantl, „Die neue deutsche Teilung“, Süddeutsche Zeitung, 2. Oktober 2006.

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