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Elitenaustausch (2001)

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Die Chefsessel gingen in aller Regel an Angehörige der westdeutschen Eliten. Dadurch wurde ein kultureller Bruch provoziert. Der wissenschaftliche Assistent, der sich gerade noch darüber gefreut hatte, dass sein Chef »abgewickelt« worden war, musste sich unversehens mit einem neuen Vorgesetzten arrangieren, der eine ganz andere Erfahrungswelt und ein ganz anderes Überlegenheitsgefühl einbrachte. Hatte der frühere Chef für die Biografie des Assistenten ein miterlebtes Verständnis, fehlte dem neuen Chef in der Regel jegliches Einfühlungsvermögen. Er hatte sich ja nicht im Institut zum Chef entwickelt, sondern war von außen eingesetzt worden. Und da die beiden deutschen Staaten zwei unterschiedliche Länder waren, musste eine Art Besatzungsgefühl und damit ein Gefühl von Fremdheit entstehen.

Der Prozess ging weiter. Nachdem die Chefs ausgewechselt waren, widmete man sich auch den übrigen Angehörigen der Eliten. Dachten zum Beispiel die Lehrerinnen und Lehrer zunächst, es gehe nur um die Direktorinnen und Direktoren der Schulen, mussten sie bald feststellen, dass sie auch selbst einer Überprüfung mit gegebenenfalls negativen Folgen unterzogen wurden. Ähnlich erging es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Staatsapparates, des späteren öffentlichen Dienstes usw. Ich habe einen Berufsschullehrer erlebt, der voller Schadenfreude registrierte, wie die Chefs rundum ihre Posten verloren. Ich habe aber auch sein Entsetzen gesehen, als er plötzlich selbst Fragebögen auszufüllen hatte und das Gefühl bekam, nun sei auch er ins Visier geraten. Erst zu diesem Zeitpunkt entwickelte er eine kritische Haltung gegenüber der Auswechslung der Eliten.

Die Instrumente und Methoden, die angewandt wurden, um die Eliten in der ostdeutschen Gesellschaft auszutauschen, waren höchst differenziert und unterschiedlich. Bei Künstlerinnen und Künstlern war es besonders leicht, sie erhielten kaum noch Angebote. Gerade noch wegen ihres Verhaltens vor und während der Wende in den Feuilletons westdeutscher Zeitungen hochgejubelte Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der DDR wurden plötzlich neu und anders beurteilt. Wurden sie früher als deutsche Schriftstellerinnen und Schriftsteller behandelt, mutierten sie nun wieder zu DDR-Schriftstellerinnen und -Schriftstellern. An Christa Wolf war nicht mehr wichtig, wie kritisch sie mit den Verhältnissen in der DDR umgegangen war, sondern dass es da ja auch eine Phase gab, in der sie dem ZK der SED angehört hatte.

In den Institutionen wurden Überprüfungen gesetzlich angeordnet. Die Gauck-Behörde war ein wichtiges Instrument zur Auswechslung der Eliten. Ob Angehörige wissenschaftlicher Einrichtungen oder des öffentlichen Dienstes, ob Funktionäre von Gewerkschaften oder von Parteien, ob Lehrerinnen oder Lehrer, sie alle hatten sich Überprüfungen durch die Behörde zu unterziehen. Stellte sich dabei heraus, dass sie irgendwann im Laufe ihres Lebens Kontakte zum MfS unterhalten hatten, konnten sie entlassen werden und wurden in der Regel auch entlassen. Konnten sie im Einzelfall bleiben, waren sie dauerhaft diszipliniert. Verlief die Überprüfung durch die Gauck-Behörde negativ, kam die nächste Phase der politischen Evaluierung. Nun wurde untersucht, ob die Betreffenden Mitglieder der SED gewesen waren und welche Funktionen sie in dieser Partei ausgeübt hatten. Es boten sich weitere Entlassungsgründe an. Der eine war Mitglied einer Kreisleitung der SED, die andere Abgeordnete in einem Kreis- oder Bezirkstag oder gar in der früheren Volkskammer gewesen, notfalls reichte es auch, Parteisekretärin oder Parteisekretär an einer Schule oder einer Universitätseinrichtung gewesen zu sein. Kam man diesbezüglich nicht weiter, reichte auch schon eine Funktion in den Kampfgruppen der DDR oder anderes aus, um festzustellen, dass die betreffende Person politisch nicht mehr tragbar sei. Bei Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, Richterinnen und Richtern war es am leichtesten, Anklagen oder Urteile zu finden, die nach den neuen politischen Wertmaßstäben ein Verbleiben der betreffenden Person in ihrer Funktion ausschlossen.

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