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Hermann von Helmholtz: Auszüge aus einer Rede aus Anlass seiner Berufung als Prorektor an der Universität Heidelberg (1862)

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Die vier Elemente des Alterthums und der mittelalterlichen Alchymie sind in unserer jetzigen Chemie auf 64 gewachsen; die drei letzten von ihnen sind nach einer an unserer Universität entdeckten Methode aufgefunden worden, welche noch viele ähnliche Funde in Aussicht stellt. Aber nicht bloss die Zahl der Elemente ist ausserordentlich gewachsen, auch die Methoden, complicirte Verbindungen derselben herzustellen, haben solche Fortschritte gemacht, dass die sogenannte organische Chemie, welche nur die Verbindungen des Kohlenstoffs mit Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und mit einigen wenigen anderen Elementen umfasst, schon wieder eine Wissenschaft für sich geworden ist.

„So viel Stern' am Himmel stehen" war in alter Zeit der natürliche Ausdruck für eine Zahl, welche alle Grenzen unseres Fassungsvermögens übersteigt; Plinius findet es ein an Vermessenheit streifendes Unternehmen des Hipparch (rem etiam Deo improbam), dass er die Sterne zu zählen und ihre Oerter einzeln abzumessen unternommen habe. Und doch liefern die bis zum siebzehnten Jahrhundert ohne Hülfe von Fernrohren angefertigten Sternverzeichnisse nur 1000 bis 1500 Sterne erster bis fünfter Grösse. Gegenwärtig ist man an mehreren Sternwarten beschäftigt, diese Kataloge bis zur zehnten Grösse fortzusetzen, was eine Gesammtzahl von etwa 200 000 Fixsternen über den ganzen Himmel ergeben wird, welche alle aufgezeichnet, und deren Oerter messend bestimmt werden sollen. Die nächste Folge dieser Untersuchungen ist dann auch die Möglichkeit gewesen, eine grosse Menge neuer Planeten zu entdecken, von denen vor 1781 nur sechs bekannt waren, im gegenwärtigen Augenblicke dagegen schon 75.

Wenn wir diese riesige Thätigkeit in allen Zweigen überblicken, so können uns die verwegenen Anschläge der Menschen wohl in ein erschrecktes Staunen versetzen, wie den Chor in der Antigone, wo er ausruft:

„Vieles ist erstaunlich, aber nichts erstaunlicher als der Mensch."

Wer soll noch das Ganze übersehen, wer die Fäden des Zusammenhanges in der Hand behalten und sich zurecht finden? Die natürliche Folge tritt zunächst darin hervor, dass jeder einzelne Forscher ein immer kleiner werdendes Gebiet zu seiner eigenen Arbeitsstätte zu wählen gezwungen ist und nur unvollständige Kenntnisse von den Nachbargebieten sich bewahren kann. Wir sind jetzt geneigt zu lachen, wenn wir hören, dass im 17. Jahrhundert Keppler als Professor der Mathematik und der Moral nach Gratz berufen wurde, oder dass am Anfange des 18. Jahrhunderts Boerhave zu Leyden gleichzeitig die Professuren der Botanik, Chemie und klinischen Medicin inne hatte, worin natürlich damals auch noch die Pharmacie eingeschlossen war. Jetzt brauchen wir mindestens vier, an vollständig besetzten Universitäten sogar sieben bis acht Lehrer, um alle diese Fächer zu vertreten. Aehnlich ist es in den anderen Disciplinen.

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