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Die junge Generation im Osten (5. Oktober 2000)

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Die Soziologen sprechen von einer Generation im Zusammenhang mit einer prägenden Phase – das Jahr 1968 war ohne Zweifel eine solche. Die Jahre 1989/90 – der Fall der Mauer, die Demokratisierung der DDR und dann die Wiedervereinigung – haben einem ganzen Volk die Möglichkeit eröffnet (und es gezwungen), sich neu einzurichten. Mit einem Schlag war die DDR verschwunden und mit ihr das SED-Zentralkomitee, die polytechnischen Oberschulen und Dienstleistungskombinate, das Schlangestehen nach ein paar grünen Kuba-Orangen. Von einem Tag auf den anderen gab es 20 Waschmittel statt 2, gab es Privatfernsehen und komplizierte Fahrkartenautomaten im Stadtbus, tauchten Kiwis und Avocados auf. Nicht zu vergessen natürlich freie Wahlen und – das Arbeitsamt. Mit einer enormen Flexibilität haben die Ostdeutschen das Beste aus der Situation gemacht; viele sind an den Umstürzen gescheitert. Die jungen Ostler aber, die 1989 ihre letzten Schuljahre drehten, bekamen die Chance, ihr Leben doch noch selbst in die Hand zu nehmen – kurz bevor die DDR mit ihrer zentralen Studien- und Arbeitsplatzzuweisung ihre Biografien unwiderruflich programmiert hätte.

Viele der heute 50 bis 60-Jährigen haben gesellschaftlichen Status verloren. Sie verbinden mit dem Verlust der DDR häufig eine persönliche Niederlage. Und das, obwohl es zumindest materiell kaum jemandem schlechter geht. Unter den Menschen um die 40 haben sich viele eine neue Existenz aufgebaut. Sie haben ein Geschäft eröffnet, sind aus dem Plattenbau auf die grüne Wiese gezogen. Die meisten waren letztlich irgendwie erfolgreich. Aber sie hadern mit ihrem Schicksal. Die DDR steckt in ihnen, und damit häufig auch deren Denken und Geisteshaltungen. Die etwa 25-Jährigen hingegen hatten die besten Startbedingungen: Ihr Leben in der DDR war lang genug, um den Staat kennen zu lernen, aber auch kurz genug, um sich im neuen System schnell zurechtzufinden.

Die jüngste Shell-Jugendstudie attestiert der jungen Generation in Ostdeutschland eine größere Zukunftszuversicht als der im Westen. Die „neue Jugend im Osten“ ist mobiler und leistungsbereiter, sie lernt und studiert schneller. Vor allem fallen die Frauen auf: sie sind zielstrebiger und erfolgsorientierter. Und sie haben den ausgeprägten Willen, Job und Familie unter einen Hut zu bringen. Laut Shell-Studie würden 63 Prozent der jungen Ostfrauen für eine Arbeitsstelle innerhalb Deutschlands umziehen (Westfrauen: 45 Prozent). Im Osten sind die jungen Leute eher zum Sprung in die Selbstständigkeit bereit (53 Prozent, Westen: 46 Prozent).

Gleichzeitig stehen die jungen Ostdeutschen ihrem Land und der neuen Gesellschaft skeptisch gegenüber. Ihr Vertrauen in Staat und Parteien, in Verbände und Kammern ist deutlich geringer als das der gleichaltrigen Westler. Das politische Interesse ist in den letzten Jahren rapide gesunken. Kein Wunder: Als die DDR zusammenbrach, spürten sie die Ohnmacht der Politik. Wieso also dafür noch Zeit und Aufmerksamkeit verschwenden? So gesehen sind die 89er moderner, als manchem lieb ist: moderner, weil sie sich der New Economy anpassen und sich nicht mehr auf Vater Staat verlassen.

Trotzdem ist nicht der Ultraliberalismus ausgebrochen in Ostdeutschland, denn gleichzeitig findet sich eine hohe Wertschätzung alles Sozialen. Die Ostdeutschen – gerade auch die jungen – vertrauen stärker auf Freunde und Familie. Im Notfall werden auch an den Staat höhere Ansprüche gestellt. Offenbar verbinden sich hier (wirtschafts)liberale und soziale Einstellungen; dann wären die jungen Ostler genau die Menschen, die sich Ökonomen und Politiker immer wünschen: leistungsbereit, selbstständig, mobil und mit sozialem Gewissen.

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