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Kommunalpolitik in Halle (29. Mai 1994)

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Rauen: Also, wir müssen zwei Problemkreise unterscheiden. Es gibt also einmal den Länderfinanzausgleich, den Ausgleich zwischen starken und schwachen Ländern. Und es gibt dann den Finanzausgleich zwischen den Städten und dem Land, Städten und Gemeinden und dem Land. Beides hängt deshalb zusammen, weil es alles aus der gleichen Quelle gespeist wird, nämlich aus den Steuereinnahmen. Und da man alles nur einmal verteilen kann, wird natürlich die enorme Aufgabenansammlung auch bei den Ländern zu einer Verschärfung des Verteilungskampfes führen. Wir möchten natürlich einen möglichst großen Batzen – da sind wieder alle Städte gleich, in Ost und in West – von den jeweiligen Ländern. Die Länder wollen möglichst viel für sich behalten. Das ist der normale Ausgangszustand, wie er immer da ist, wenn einer mehr hat und der andere weniger und ein Ausgleich zustande kommen soll. Aber was eben hier besonders belastend ist, ist, daß die Aufgaben bei Ländern und Gemeinden ungleich größer sind als in den vergleichbaren westlichen Ländern und Städten. Der Standard, der dort über 40 oder 45 Jahre erreicht worden ist, hat jetzt bereits ein Niveau erreicht, das hier nur allenfalls im Traum vorstellbar ist. Und da die Menschen nun nicht ewig warten wollen, und da sie sich sagen, wir sterben ja auch, und was nützt es uns, wenn uns das, was an Wohltaten aus dem Westen kommt in 20 Jahren erreicht, denn dann sind wir tot, und dann haben wir nichts mehr davon, führt zu dieser Grundstimmung der Unzufriedenheit, wenn man der einen Seite das seinerzeit so vorgestellte westliche Paradies, das inzwischen auch ein paar weniger schöne Aspekte bekommen hat, vor Augen hat, und auf der anderen Seite das Desaster in der eigenen Wohnregion, in der eigenen Stadt, in der eigenen Gemeinde miterlebt.

DLF: Nun hat die Deutsche Bundesbank quasi als Antwort auf das Manifest des Deutschen Städtetages den ostdeutschen Kommunen vorgeworfen, daß ihr Personalanteil viel zu hoch sei, daß die Kosten an den Verwaltungshaushalten, was Personalkosten anbelangt, nicht stimmig seien, daß die reduziert werden müssen.

Rauen: Die generelle Aussage stimmt oder hat zu einem großen Teil gestimmt. Ich will Ihnen das auch wieder an dem Beispiel Bonn – Halle deutlich machen. Ich war auch in Bonn eine Zeitlang Personaldezernent, und dort ist ein Personalkörper – was jetzt die reine Verwaltung angeht – etwa von 5 500. Als ich nach Halle kam, habe ich dort einen Personalkörper von 13 000 vorgefunden, immer gesagt bei einer gleichgroßen Stadt. Und bei einer Stadt, die in DDR-Zeiten natürlich ungleich weniger Zuständigkeiten hatte, als dies in einer west- oder süddeutschen Stadt der Fall ist. Wir haben inzwischen rund 4500 Mitarbeiter abgebaut, d.h. also, wir haben dieses Mißverhältnis das die Bundesbank zu Recht aufspießt, erkannt, und wir haben es nicht nur erkannt, sondern wir sind es zielstrebig angegangen, und dies ist natürlich ein schweres Geschäft, 4500 Menschen sind eine ganze Menge, und einen Teil davon in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, ist für die Handelnden auch eine schwere psychische Last, die sie da zu tragen haben. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes nicht ohne Tränen und auch nicht ohne heftige öffentliche Diskussionen ab. [ . . . ]



Quelle: „Interview mit dem Oberbürgermeister von Halle“, Deutschland Archiv 27, Nr. 7 (1994), S. 781 ff.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Deutschland Archivs.

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