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Strukturelle Anpassungen (29. Oktober 1993)

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Auch die Gastronomie nahm einen Aufschwung. Zu den 1990 noch viel bestaunten beiden ersten Italienern Magdeburgs gesellten sich im Laufe der Jahre die Chinesen und Griechen. Die große Zahl gut bezahlter und schlecht untergebrachter westdeutscher Leihbeamter machte den Aufschwung Ost in der Gastronomie der Landeshauptstadt möglich. Auf den wartet die Industrie in Magdeburg immer noch. Von 30 000 Beschäftigten zum Zeitpunkt der Währungsunion arbeiten heute nur noch rund 5000 in der Magdeburger Traditionsbranche Maschinen- und Anlagenbau. Nachdem die D-Mark den Transferrubel abgelöst und sich die Sowjetunion aufgelöst hatte, konnten die Magdeburger Maschinenbauer kaum noch einen Schiffsdieselmotor oder ein Walzwerk auf ihren traditionellen Märkten im Osten loswerden. Neue Arbeitsplätze sind bisher fast nur im Dienstleistungsbereich und in der Verwaltung entstanden. Dank der großen Zahl von Behörden und Ministerien liegt die Arbeitslosigkeit in Magdeburg mit zuletzt 14,8 Prozent immer noch unter dem Landesdurchschnitt von 17,7 Prozent. Die miese Wirtschaftslage erschwert in Magdeburg das Zusammenwachsen zwischen Ost und West.

Solange Westdeutsche in der Bundesbehörde Treuhandanstalt die Entscheidungen über das Wohl und Wehe von Tausenden von Arbeitnehmern treffen, verblasst so schnell auch das Bild vom „bösen Wessi“ nicht. Weil auch sie nicht verhindern konnten, dass immer mehr Menschen stempeln gehen müssen, gelten Westpolitiker längst nicht mehr als Wundermänner. War es 1990/91 für Politiker ein Pluspunkt aus dem Westen zu kommen, scheint dies 1993/94 ein Manko zu sein, das es durch andere Qualitäten auszubügeln gilt. In vielen Bereichen gab es keine Vereinigung: Noch immer sieht man abends in den Gaststuben die westdeutschen Beamten an einem eigenen Tisch, weil sie lieber unter sich bleiben. Manche Regierungsstellen, wie die Staatskanzlei, sind fast reine Westdomänen. Wo umgekehrt, wie im Umweltministerium, Ostdeutsche in der Mehrheit sind, haben „Wessis“ keine Aufstiegschancen. Immerhin nimmt allmählich die Zahl derjenigen Westdeutschen in Magdeburg zu, die ihren Hauptwohnsitz nach Sachsen-Anhalt verlegen und nicht mehr jedes Wochenende nach Niedersachsen pendeln. Ich persönlich habe die Vereinigung mit dem Osten vollzogen: Ich werde Magdeburg nicht allein Richtung Mexiko-Stadt verlassen. Meine frisch getraute Frau, eine waschechte Magdeburgerin, begleitet mich.

Klaus Blume, Büroleiter dpa-Magdeburg, ab 1.11. Korrespondent in Mexiko-Stadt.



Quelle: Klaus Blume, „Als Lenin-Büsten auf den Müll wanderten“, Horizont, 29. Oktober 1993, S. 84.

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