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Parteienzusammenschlüsse (6. Juli 1990)

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Auch die CDU der DDR nimmt sich soziologisch anders aus als ihre Schwester in der Bundesrepublik, aber die Unterschiede zur Westpartei haben bei ihr (und bei der FDP) eine viel brisantere Funktion: Hier geht es um die Machtverhältnisse innerhalb der Regierungsparteien hüben und drüben.

Die „andere Wirklichkeit“ ist zum einen sehr materiell: Die frühere Blockpartei Ost-CDU ist (noch) relativ wohlhabend, die West-CDU hingegen bettelarm, und die Christdemokraten drüben zeigen entsprechendes Selbstbewußtsein. Beides, Vermögen und Selbstwertgefühl, dürfte sich nach der Vereinigung mit der früheren Blockpartei DBD (Demokratische Bauernpartei) noch steigern, denn die Bauern sind im Norden der DDR eine politisch einflußreiche Klientel. Sie müssen besonders umworben werden, wenn das komfortable PDS-Stimmenkissen in Mecklenburg eingebügelt werden soll. Die gesamtdeutsche CDU wird, wie schon in früheren Zeiten, eine deutlich agrarische Komponente erhalten.

Zum anderen hat das (evangelische) „hohe C“ eine weitaus größere Bedeutung – auch hier. Zwar hatten etliche Delegierte beim Parteitag im Dezember vor dem Anstrich einer „klerikalen Partei“ gewarnt; ihnen hatte deshalb die Wahl von Landeskirchenrat Martin Kirchner zum Generalsekretär nicht gefallen. Auch diskutierte man dort, das war nicht untypisch, ausgiebig die Wiedereinführung kirchlicher Feiertage.

Inzwischen aber hat das „C“ durch Lothar de Maizière eine eminent politische Färbung erhalten, die derjenigen von Westpolitikern wie Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler oder Ulf Fink nahekommt: Soziale Verantwortung der Wirtschaft, oder Umweltschutz als ethische Aufgabe. Dem Vernehmen nach ist diese Tatsache manchen Politikern der West-CDU nicht unliebsam; über die Ost-Schwester lassen sich so Inhalte in der Diskussion halten, die seit dem vergangenen Sommer schon in der Versenkung verschwunden schienen. Die Fusion – sie ist auch ein programmatischer Machtkampf in Neuauflage.

Der Zusammenschluß wird überdies das protestantische Element in der Gesamt-CDU verstärken. Damit wird der Ausgleich mit dem Katholizismus – ehedem konstitutiv für den Begriff „Union“ – schwieriger. Zumal (rheinisch-)katholische Liberalität sich ganz anders versteht als (preußisch-)protestantische. Der evangelische Arbeitskreis der CDU wird wieder eine Hausmacht.

Die berufliche Zusammensetzung der Parteitagsdelegierten ähnelte dem mittelständischen Teil des Wirtschaftsflügels der FDP während der Adenauer-Zeit. Wie allen anderen Parteien außer der SED war auch der CDU vor der Revolution untersagt gewesen, aktiv Arbeiter als Mitglieder zu werben. Das holte man sogleich nach. In der CDU/DA-Volkskammerfraktion hat sich eine Arbeitnehmergruppe gebildet. Ihr gehören 35 Abgeordnete an. Das sei ein erfreulicher Anfang, sagt man im Karl-Arnold-Haus, dem Bonner Sitz der CDU-Sozialausschüsse. Inzwischen sind – bis auf Thüringen – in allen zukünftigen Ländern der DDR Arbeitnehmerverbände nach dem Vorbild der CDU-Sozialausschüsse entstanden. Aber die Zahl der organisierten Mitglieder ist mit etwa 800 denkbar gering. Dabei ist der Anteil der Industriearbeiter an der Erwerbsbevölkerung in der DDR höher als in der Bundesrepublik. Der Wirtschaftsflügel der West-CDU wähnt sich bei der Bildung von Basisorganisationen in der DDR weit im Vorsprung: DDR-Interessenten für den Wirtschaftsrat der CDU gibt es viele; da läßt sich leicht die organisatorische Form schaffen.

Nimmt man die Summe aus CDU hüben und drüben, so wird das wirtschaftliche Gewicht vorherrschen. Das mag sogar im Interesse der Arbeitnehmer liegen, die keine Anpassungsschwierigkeiten an die Marktwirtschaft haben werden, denen eine möglichst rasche Steigerung der Einkommen wichtiger ist als ein Ausbau der Sozialgesetzgebung. Da wird die CDU in eine gewisse Spannung zwischen den Bedürfnissen in der DDR und den Wünschen in der Bundesrepublik geraten können.

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