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Proteste in Ostdeutschland (22. August 2004)

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Viele Politiker sorgen sich eher um eine „Radikalisierung“ der neuen Länder. In Ostdeutschland seien die „Zweifel an der Wirkungsfähigkeit der Demokratie“ gewachsen, mahnt Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus. Andere berichten von einem „Gefühl der Zweitklassigkeit“ in den neuen Ländern, das durch die Sozialreformen verstärkt werde. Wie anders sollten die Bürger ein Gesetz werten, zu dessen Umsetzung ehemalige Post-Beamte aus dem Westen mit Busch-Prämien nach Halle oder Gera gelockt werden.

Doch es gibt auch Gegenstimmen: „Man muss den Menschen in Ostdeutschland sagen, dass Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft in schwierigen Zeiten noch mehr Mut und Eigenverantwortung fordern“, sagt Klaus von Dohnanyi, der den Gesprächskreis Ost der Bundesregierung leitet. „Wenn man die Proteste übertreibt, führt das irgendwann wieder dahin, wo die DDR hergekommen ist.“

Meinungsforscher stufen die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 19. September längst als Protestereignis ein. Krisengewinnler sind die Parteien am rechten und linken Rand. Sie können mit hohen Stimmenzuwächsen rechnen. Die Berliner Regierungspartei scheint auf jeden Fall abgemeldet. In Sachsen sehen jüngste Umfragen die SPD nur noch bei zehn bis zwölf Prozent. In Brandenburg muss die SPD fürchten, zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung ihre Mehrheit zu verlieren. Die PDS könnte mit 30 Prozent der Stimmen erstmals stärkste Partei in einem Bundesland werden. Die SED-Nachfolgepartei nutzt den Unmut am geschicktesten, etwa mit dem Plakat: „Hartz IV, das ist Armut per Gesetz“.

Bei den Demonstrationen mischen auch die extremen Rechten wie die DVU und die NPD mit. Auf selbst gemalten Plakaten wird in holprigen Reimen zum Sturz der Regierung aufgerufen. Doch auch mancher Funktionär verliert inzwischen jedes Maß. Thüringens DGB-Chef Frank Spieth etwa, der die Hartz-Reform mit dem Arbeitsdienst der Nationalsozialisten verglich. „Hier wird, und ich sage das wirklich so knallhart, der Reichsarbeitsdienst im neuen Gewand eingeführt“, sagte er im Mitteldeutschen Rundfunk.

Eines haben die Demonstranten in Gera, Cottbus und Schwerin bereits erreicht. Auch Marktliberale weisen auf Härten der Reformen hin. So spricht Regierungsberater Bert Rürup von der „härtesten Sozialreform, die es je gab“. Zusätzliche Anreize für Arbeitslose, eine neue Beschäftigung aufzunehmen, würden nicht helfen, wenn es keine Stellen gebe. Dieses Problem werde sich vor allem im Osten zeigen.

Denn 14 Jahre nach der Wiedervereinigung hinken die neuen Länder noch immer hinterher. Seit 2001 schrumpft ihre Wirtschaftsleistung. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt weit unter West-Niveau. Thüringens CDU-Ministerpräsident Althaus sinniert, der Zusammenbruch ganzer Branchen nach der Wiedervereinigung und die hohe Arbeitslosigkeit machten viele Menschen schlicht „hoffnungslos“.

Dabei fehlt vielen nicht nur die Hoffnung auf die Zukunft, sondern auch ein Stück Vergangenheit, ein Stück Identität. 14 Jahre lang spielten die Ostdeutschen kaum eine Rolle in der Bundesrepublik. Nur kurz brach sich zu Beginn des neuen Jahrtausends eine Retro-Welle Bahn, die in den Kinosälen begann. Filme wie „Sonnenallee“ und „Good Bye, Lenin!“ erhoben die abgewickelte DDR zum Lebensstil. Aus Nostalgie wurde Zug um Zug Ostalgie.

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