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Eigentum und Gerechtigkeit (19. Februar 2004)

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Es ist doch aber ungerecht, dass die einen nur Ausgleichsleistungen, die anderen Entschädigung beanspruchen können. Die Ausgleichsleistungen betragen bei land- und forstwirtschaftlichen Flächen das Dreifache des Einheitswertes von 1935, degressiv gestaffelt. Bei Bauland sind sie höher. Das also ist zu wenig. Aber hat einmal jemand gefragt, was die DDR bei Enteignungen im Zusammenhang mit dem Tagebau und Ähnlichem ihren Bürgern bezahlt hat? Das Dreifache des Einheitswertes von 1935 in DDR-Mark. Daraus wurde mit der Währungsunion das 1,5fache. Also müssten auch diese Entschädigungen im Namen der Gerechtigkeit wieder aufgerollt werden.

Viele Vertriebene haben sich in der DDR niedergelassen. Lastenausgleich haben sie in der DDR nie bekommen, es sei denn, man wollte das Bodenreformland, das sie als Bauern bekommen haben, als solchen rechnen. Der westliche Lastenausgleich wurde mit dem 3.Oktober 1990 eingestellt – als „wir“ kamen. Die Vertriebenen in der DDR haben lediglich einmalig 4000 D-Mark bekommen. Und wer unter Stalin als politischer Häftling leiden musste und am 3. Oktober 1990 DDR-Bürger war, bekommt Entschädigung nur, wenn er bedürftig ist. Wer Verwandte in Stalins Lagern verloren hat, bekommt nichts. Wer die Oberschule nicht besuchen und die Apotheke seines Vaters nicht übernehmen durfte, bekommt auch nichts. Es gibt in Deutschland Opfer erster, zweiter und dritter Klasse. Die dritte Klasse sind die DDR-Bürger.

Ich beschwere mich nicht, sondern empöre mich über die Empörung der westlichen Opfer zweiter Klasse. Deutschland hat einen Krieg verloren, den ein verbrecherisches Regime angezettelt und zur Gelegenheit eines unerhörten Völkermords genommen hat. Dafür tun wir Buße mit einem gigantischen Holocaust-Denkmal. Aber die Eigentumsverluste aus Kriegsfolgen, die möchten gefälligst rückwirkend bis ins zweite und dritte Glied erstattet werden. Sonst werden wir ungemütlich und bezichtigen die Einigungspolitiker der Lüge, des Betrugs und des Verfassungsbruchs. Jetzt geht es vor allem gegen Wolfgang Schäuble. Ich weiß schon, warum. Man kann nicht altes Unrecht durch neues Unrecht wiedergutmachen. Jetzt ist das neue Unrecht der lebensfremd konstruierte Vorwurf von Lüge und Verfassungsbruch.



Quelle: Richard Schröder, „Also waren wir eure Hereros“, Die Zeit, 19. Februar 2004.

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