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Eigentum und Gerechtigkeit (19. Februar 2004)

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In Ost und West waren sich bisher die Kritiker der Einheitspolitik in zwei Punkten einig. Der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ und die Treuhandpolitik hätten das deutsch-deutsche Verhältnis vergiftet. Was sind wir geprügelt worden dafür, dass die Volkskammer den Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ akzeptiert hat! Nun werden die Einigungspolitiker für das Gegenteil geprügelt.

Die These von der Ohnmacht der Volkskammer ist gut widerlegbar. Denn sie musste den Beitritt und die Verträge beschließen, und zwar mit einer Zweidrittelmehrheit. Einen Einigungsvertrag, der die Bodenreform rückgängig gemacht hätte, hätte die Volkskammer abgelehnt. Die Bundesregierung, so behauptet Constanze Paffrath, hätte einem Rückgabeverbot unter keinen Umständen zustimmen dürfen, „selbst um den Preis der Wiedervereinigung nicht“. Aber ohne Einheit hätte doch auch niemand etwas zurückbekommen! Da merkt man, dass Jura und Politik zweierlei sind, und hört das erbarmungslose fiat justitia, pereat mundus, „Gerechtigkeit“ auch um den Preis des Weltuntergangs.

Wir stellen uns das plastisch vor. Die DDR-Bürger rufen: „Wir sind ein Volk!“ Die Bundesregierung antwortet: „Aber nur, wenn ihr unseren Bürgern ihr verlorenes Eigentum rückerstattet.“ Der Streit geht hin und her – und die Weltöffentlichkeit staunt. Am 9. November waren die Deutschen das glücklichste Volk, kurz darauf benehmen sie sich wie eine Familie im Erbstreit. Die Bundesregierung hat tatsächlich nicht alles Denkbare getan, um vollständige Restitution zu erwirken. Sie hat zum Glück nicht mit dem Scheitern der deutschen Einheit gedroht.

Aber es ist doch erwiesen, so lautet ein Argument der Kläger vor dem Europäischen Gericht für Menschenrechte, dass die Sowjetunion nie das Rückgabeverbot zur Einigungsbedingung erklärt hat! Also habe Helmut Kohl gelogen. Tatsächlich haben Helmut Kohl und Michail Gorbatschow nicht über Restitution verhandelt – nicht weil das Thema nebensächlich war, sondern weil es bei ihrem Zusammentreffen im Juli 1990 bereits einvernehmlich geklärt war. Bei allen Vertragsverhandlungen werden nur die offenen Fragen im Spitzengespräch verhandelt und nicht die auf Beamtenebene einvernehmlich geklärten noch einmal zur Disposition gestellt. Sonst wird man nämlich nie fertig. Als Helmut Kohl im Dezember 1989 in Dresden mit dem damaligen Ministerpräsidenten Modrow zusammentraf, wurde eine gemeinsame Kommission vereinbart, die sich mit der Eigentumsfrage befassen sollte. Die Regierung de Maizière konnte an diese Vorarbeiten anknüpfen. Die Sowjetunion wurde in die Verhandlungen einbezogen. Das Ergebnis war die Gemeinsame Erklärung beider deutscher Regierungen vom 15. Juni 1990. Dort hieß es: „Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rückgängig zu machen. Die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik sehen keine Möglichkeit, die damals getroffenen Maßnahmen zu revidieren. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nimmt dies im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis. Sie ist der Auffassung, daß einem künftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muß.“ Insofern hatte Gorbatschow ganz Recht, als er in einem Schreiben vom 5. Juli 1994 erklärte: „Auf meiner Ebene als Präsident der UdSSR wurde diese Frage nicht erörtert, und von einer Alternative – entweder ein Verbot für Restitutionen oder der Vertrag – konnte schon gar keine Rede sein.“

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