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DDR-Nostalgie (1996)

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Warum tut sich die deutsche Öffentlichkeit damit so schwer? Wo liegt das Problem? Ist es etwa befremdlich, daß sich die Ostdeutschen – viel mehr als bei der Bewertung der materiellen Lebensumstände – im Hinblick auf bestimmte Werturteile einig sind, die ihre Vergangenheit betreffen? Liegt das Problem darin, daß mit dieser Entwicklung genau das Gegenteil dessen eingetreten ist, was man 1990 vermutete? Tatsächlich haben die wirtschaftlichen Realitäten sehr bald zur Ernüchterung im Osten geführt. Offensichtlich begründet diese Tatsache bei den meisten Menschen im Osten nicht allein das wachsende Unbehagen. Warum hatte man eigentlich nicht erwartet, daß es noch andere Werte gibt, als diejenigen, die den Menschen als Verbraucher qualifizieren?

Mancher hatte gemeint, daß zumindest jene schmerzlich-skandalöse Form der „Wiederkehr der DDR“*, die man im Januar 1992 anläßlich der Öffnung der Stasi-Akten erwartete, gegen jede Wehmut nach den DDR-Verhältnissen immunisieren würde. Als nachgerade letztes „Outing“ der realsozialistischen Verhältnisse gedacht, als „nachholende Revolution auf Aktenbasis“ durchgeführt, hat das alles wenig gefruchtet. Ja gerade diese Geschichte hat sich anscheinend in ihr politisches Gegenteil verkehrt.

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Sollte es ein Mißverständnis gegeben haben, daß von Anfang an die Sache in eine Schieflage gebracht hat, dann war es nach der Überzeugung des von jeder „DDR-Nostalgie“ freien westdeutschen Publizisten Karl Heinz Bohrer die Schuld der CDU, die so getan habe, „als handele es sich bei den DDR-Bewohnern um eine vierzig Jahre unterdrückte Spielart der Westdeutschen.“ Weit gefehlt! In der DDR habe sich eine „völlig andere Mentalität nicht bloß bei SED-Aktivisten, sondern massenhaft ausgebildet…“** Dem wäre nach dem bisherigen Stand der Debatte nichts hinzuzufügen. Sollte Bohrer Recht haben, dann wären wir in der Tat auf beiden Seiten, in Ost und West, einer Täuschung aufgesessen. Bohrers Schlußfolgerung entbehrt überdies nicht eines klaren Sinnes für die Situation: „Statt Verschmelzungsphantasien hätte es Differenz gebraucht.“***

Nun gibt es die Differenz. Öffentlich wird sie laut beklagt. Heimlich hat man seinen Spaß daran. Vor allem die aus den alten Schulen des Antikommunismus und des Antikapitalismus. Denn die Machtverhältnisse sind so eindeutiger auf den Punkt zu bringen. Wie gehabt: Wem es nicht paßt, der geh doch rüber! Karl Heinz Bohrer schließt seine Betrachtungen vom akademischen Hochsitz mit dem englischen Sprichwort: „You cannot eat your cake and have it.“ Also entweder liquidieren oder akzeptieren. Beides geht nicht. So einfach ist die Geschichte.



* Klaus Hartung, „Die Wiederkehr der DDR“, Die Zeit, Nr. 2/3.1.1992, S. 5.
** Karl Heinz Bohrer,„Deutsche Revolution und protestantische Mentalität“, Merkur: 46 (1992) 522/23, S. 958/9.
*** Karl Heinz Bohrer: a.a.O., S. 962.



Quelle: Hans-J. Misselwitz, Nicht länger mit dem Gesicht nach Westen. Das neue Selbstbewußtsein der Ostdeutschen. 1996. („Wiederkehr der DDR“, S. 26- 32.)
© by Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn/Germany

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