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Unterschiede zwischen Ost und West (12. November 1990)

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Nur 34 Prozent der Befragten halten die Ex-Bürger der DDR für „selbstbewußt“, aber 91 Prozent sagen dies über die West-Deutschen.

Die Honeckers, Mielkes und Genossen haben das Vertrauen in die eigene Kraft zerstört. Werden die Ost-Deutschen nach der Vergangenheit gefragt, so wird deutlich, in welch hohem Maße sie dem System und seinen Funktionären die Schuld an ihren Schwächen und an ihren derzeitigen Schwierigkeiten geben.

Den Spruch der Bonzen, in ihrem Arbeiter-und-Bauern-Staat könne „jeder nach seinen Fähigkeiten“ arbeiten, haben die meisten als Hohn empfunden. Auf die Frage, welche Kriterien vor der Wende über den „Erfolg im Beruf“ entschieden, nannten sie am häufigsten „politische Aktivität“ und „Beziehungen“, während nach ihrer Meinung in der Bundesrepublik „Leistung“ und „Ausbildung“ ausschlaggebend sind. Und daß es im SED- und Stasi-Staat „im großen und ganzen gerecht zuging“, meinen nur 22 Prozent seiner einstigen Untertanen, obwohl sie von den Interviewern gebeten wurden, „von den Beziehungen und Verfehlungen der SED-Spitzen mal abzusehen“.

Der Begriff „Kommunismus“ ist den allermeisten unsympathisch, und den „Sozialismus“ verwerfen sie gleich mit. Der „Genosse“ stößt auf noch mehr Abneigung als die „Planwirtschaft“. Die Anrede, die in der Arbeiterbewegung nie auf Kommunisten beschränkt war und in der SPD (West) bis heute gebraucht wird, ist in Ostdeutschland zum Schimpfwort geworden.

In den Zorn über die Vergangenheit mischt sich Empörung über die Versuche vieler Gestriger, ihre Posten und Pfründen in die Zukunft zu retten.

Als Emnid eine Liste mit sieben Berufsgruppen vorlegte, die stärker mit dem SED-System verbunden waren als andere, sprachen sich große Mehrheiten dafür aus, daß „möglichst wenige im Amt bleiben“ sollen.

Die Aversion gegen „Leiter von größeren Betrieben“ und gegen „Verantwortliche für Handel und Versorgung“ ist noch größer als gegen Richter und gegen Offiziere der Volksarmee und der Volkspolizei – vermutlich, weil sie das parteitreue Fehlverhalten vieler Funktionäre in den Betrieben und Kaufhallen hautnäher erleben und erleiden mußten und ihnen um so stärker mißtrauen.

Es gibt kein Vertrauen zu den Wendehälsen, die „früher wichtige Funktionen und Ämter innehatten und jetzt erklären, daß sie für eine demokratische Erneuerung sind“. Auf die Frage, wie vielen „man glauben kann, daß sie es ehrlich meinen“, antworteten 1 Prozent „fast allen“, 11 Prozent „vielen“, aber 43 Prozent „einigen“ und 36 Prozent sogar „kaum jemandem“.

Wann immer in den Fragen des Bielefelder und des Leipziger Instituts anklang, die Diskussion um die Vergangenheit könne beendet werden, widersprach die Mehrheit.

73 Prozent der Ost-Deutschen lehnen es ab, „nach dem Ende der DDR einen Schlußstrich unter die 40 Jahre“ zu ziehen; sie verlangen, erst müsse geklärt werden, „wer sich schuldig gemacht“ hat.

Und sogar 80 Prozent sind dagegen, daß die Aktenberge der Stasi vernichtet werden.

Zwei Drittel der früheren DDR-Bürger nehmen an, daß sie selbst bespitzelt wurden und daß ihre Namen in den Akten stehen: 27 Prozent sind dessen „sicher“, 39 Prozent halten es für „wahrscheinlich“.



Quelle: „Den Neuen fehlt Selbstvertrauen“, Der Spiegel, 12. November 1990, S. 115-28.

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