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Charles Krauthammer über internationale Ängste im Hinblick auf die deutsche Wiedervereinigung (26. März 1990)

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III. POLITISCH

Wo liegt dann das wahre Problem der deutschen Wiedervereinigung? Sie wird eine der heilsamsten europäischen Entwicklungen der letzten fünfzig Jahre umkehren: die Verminderung der Souveränität. Die deutsche Wiedervereinigung bedeutet die dramatischste Wiedergeburt der Souveränität in der Nachkriegszeit. In dieser Ära hat Europa eine historisch beispiellose Zeit des Friedens genießen können, weil die Souveränität seiner kriegsführenden Nationen durch den Eingriff zweier Großmächte unterdrückt wurde: brutal im Osten, friedlich im Westen. Was er auch sonst angerichtet haben mag, so hatte der Kalte Krieg und seine Teilung Europas in eine Pax Sovietica und eine Pax Americana zumindest den Vorteil, einen vernichtenden innereuropäischen Konflikt unterdrückt zu haben.

Aber die Unterdrückung der Souveränität durch fremde Mächte darf nur provisorisch sein. Ein Imperium besteht nicht ewig. So lautet also die Frage, die sich nach dem Kalten Krieg aufdrängt: Wie kann die künstliche Unterdrückung der Souveränität durch die Supermächte abgeschafft werden, ohne die nationalen Explosionen zu riskieren, die fast immer dann folgen, wenn sich die Großmacht zurückzieht (siehe Asien, Afrika)? Westeuropa meinte, die Antwort darauf gefunden zu haben. Während der letzten vierzig Jahre wurden Schritt für Schritt transnationale Institutionen aufgebaut, allen voran die Europäische Gemeinschaft. Das große Projekt, welches sich dem Ende nähert, war die Bildung eines europäischen Binnenmarktes bis 1992. Dieser soll die Wirtschaft der zwölf beteiligten Länder in ein einheitliches Gebiet verwandeln, das fast so frei von Rechtsbarrieren wäre wie das inneramerikanische System. Irland und Griechenland würden so barrierefrei Handel treiben können wie Maine und Texas.

Aber die Bedeutung von Europa '92 liegt nicht nur in der Wirtschaft. Hier findet eine der größten friedlichen Souveränitätstransfers der Geschichte statt. Indem sie umfassende wirtschaftliche, soziale und regulative Macht an eine zentrale europäische Autorität abgeben, verlieren die westeuropäischen Länder bewusst einen großen Teil ihrer politischen Autonomie. Aus genau diesem Grunde sträubt sich Margaret Thatcher so vehement gegen diesen Prozess. Sie weiß, dass z.B. die europäische Währungsunion bald zu einer gemeinsamen Währung führen kann, welche wiederum direkt in ein politisches Bündnis münden würde. Noch kann keine Rede von den Vereinigten Staaten von Europa sein. Weithergeholt ist diese Vorstellung jedoch nicht. Das ist der Pfad, dem Westeuropa folgt.

Oder gefolgt ist – bis zum 9. November, dem Tag, an dem die Berliner Mauer fiel. Europa '92 sollte die durch die einstige amerikanische Vorherrschaft verminderte Souveränität mit einer durch die europäische Integration verminderte Souveränität ersetzen. Es sollte ein Übergang sein von einer Gemeinschaft, die von einer Großmacht bestimmt wurde, zu einer Gemeinschaft, die sich selbst bestimmte. Große Hoffnungen lagen auf einem integrierten Europa: dass es die innere Stabilität eines föderalen Landes wie den USA erreichen würde und dass durch die verminderte Souveränität der individuellen Länder sowie die erhöhte Machtkonzentration in einem zentralen „Europa“ die Rivalitäten, die jahrhundertelang zu europäischen Kriegen geführt hatten, beseitigt würden. Es wäre so, als ob Texas gegen Maine Krieg führen würde.

Die deutsche Wiedervereinigung stört diesen Prozess und stellt ihn in Frage. Westdeutschland hat zugesagt, durch den Beitritt zum europäischen Markt einen Teil seiner Souveränität aufzugeben. Nun aber wird es sich den Osten einverleiben und dadurch seine Bevölkerung, sein Territorium, seine Wirtschaft, seine militärische Macht, seine politische Bedeutung und seinen diplomatischen Einfluss vergrößern. Deutschland ist dabei, der neue Gigant auf dem europäischen Kontinent zu werden. Auch wenn man potentielle Gebietsrückforderungen und eine mögliche Nuklearaufrüstung beiseite lässt, untergräbt allein die Tatsache der explosiven Geburt eines neuen und gewaltigen Deutschlands in der Mitte des Kontinents sofort alle Bestrebungen in Richtung eines europäischen Staatenbundes.

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