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Emil Lehmanns Petition zur Verbesserung der Rechtsverhältnisse der Juden in Sachsen (25. November 1869)

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Aus dieser sehr sachgemäßen Uebergangsbestimmung hat die Ausführungs-Verordnung die, an sich wohl angemessene aber jedenfalls nicht in eine Ausführungs-Verordnung zu einem, darüber nichts enthaltenden Gesetze gehörige, weitere Folgerung gezogen: „der dem Juden beigelegte bürgerliche Vorname kann später weder verändert, noch mit einem anderen Namen vertauscht werden, sondern ist unabänderlich beizubehalten und im bürgerlichen Leben sowie bei Rechtsgeschäften aller Art zu führen.“

Es bedarf keiner Auseinandersetzung, daß der Sprung vom Familien- auf den Vornamen schon in jener Ausführungs-Verordnung kein gesetzlich statthafter war, wie denn auch andererseits die Bestimmung eine wörtliche Interpretation nicht verträgt. Nach solcher dürfte ein Jude kein Rechtsgeschäft ohne Nennung seines Vornamens abschließen! – Gesetz und Verordnung vom 16. August 1838 haben für die inländischen Juden durch die Verordnung vom 2. März 1849 publizirten Grundrechte und das Gesetz vom 12. Mai 1851 § 3 ihre Endschaft erreicht – bis jetzt jene längstvergessene Bestimmung derselben und mit ihr die schon damals eingetretene Inkongruenz von Gesetz und Verordnung, im Verordnungswege wieder aufgefrischt wurde. Es unterliegt nach dem Gesagten wohl keinem Zweifel, daß § 2 der Verordnung vom 12. August 1869 dem Gesetze, ja dem Verfassungsgesetze gegenüber nicht aufrechthaltbar ist.


II.

Mit dem in dem nunmehrigen § 33 der Verfassungsurkunde ausgesprochenen Grundsatze der Gleichberechtigung aller Staatsbürger ohne Rücksicht auf ihre Konfessionszugehörigkeit, ist der Syllogismus gestört, den die Verfassungsurkunde in den §§ 32, 33, 56 aussprach.

Die drei Paragraphen korrespondiren einander nur in der früheren Fassung. Sie sprechen den Gedanken aus: Gewissensfreiheit hat Jedermann, aber nur die rezipirten christlichen Kirchengesellschaften haben bürgerliche und politische Gleichberechtigung und freie öffentliche Religionsübung.

Das Mittelglied ist ausgefallen, es steht nun Jedermann die bürgerliche und politische Gleichberechtigung zu. Eine Folge hiervon ist, daß es auch keinen Gegensatz von religio recepta und religio tolerata, von aufgenommener und geduldeter Religion mehr geben kann, denn er würde eben dem Prinzipe der staatsbürgerlichen Rechtsgleichheit widersprechen. In der That findet sich auch in keiner Verfassung, welche nach dem Vorgange der „Grundrechte des deutschen Volkes“ den Genuß der politischen Rechte vom religiösen Bekenntnisse unabhängig macht, die Beibehaltung eines derartigen Vorzugs irgend welcher Glaubensbekenntnisse vor andern.

Von diesem Gesichtspunkte aus dürfte es sich rechtfertigen, wenn die §§ 32, 56 der Verfassungsurkunde einer Revision unterstellt werden.

Diese Revision wäre, wie unmaßgeblich zu bemerken, etwa in einer Zusammenziehung beider Paragraphen dahin: „Jedem Landeseinwohner wird völlige Gewissensfreiheit und freie öffentliche Religionsübung gewährt. Es dürfen u. s. w. Absatz 2 des § 56“ zu finden.

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