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Helmuth von Moltke: Memorandum zur Wirkung der verbesserten Feuerwaffen auf die Taktik (1861)

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Hat ihr einleitendes Gefecht die Stellung des Feindes erkennen lassen, so muß nun schon aus der Ferne der Marsch des Gros gegen denjenigen Punkt dirigirt werden, von wo der Hauptangriff erfolgen soll. Denn wir haben gezeigt, daß jede Seitenbewegung im Gesichtsfeld des Gegners, abgesehen davon, daß seine Offensive sie zum Stehen bringt, einen Umweg bedingt, der die Wirkung der Ueberraschung ausschließt und volle Zeit zu Gegenmaßregeln gewährt. Das – „on s'engage partout et puis l'on voit" – würde sehr große Opfer kosten, wo der Anmarsch und das Abziehen auf solche Entfernungen unter Feuer genommen ist.

Wir wählen für unseren Angriff dasjenige Terrain, welches die möglichst gedeckte Annäherung an die feindliche Aufstellung ermöglicht und es gestattet, seine Massen zu sehen, folglich auch mit unseren gezogenen Geschützen zu erreichen. In den allerseltensten Fällen wird dies zum Frontalangriff führen.

Zu den wenigen Regeln, welche sich im voraus geben lassen, gehört, daß wir Dörfer, Waldparzellen etc. in welchen der Feind sich zur Vertheidigung eingerichtet hat, niemals angreifen, wenn es nicht ganz unbedingt nöthig ist. Dies wird aber zuweilen der Fall sein.

Wir besitzen in dem gezogenen Geschütz das Mittel in sehr kurzer Zeit fast jede Baulichkeit zu zerstören, Mauern niederzuwerfen, Dörfer und Städte in Brand zu setzen, Reserven zu zersprengen, sobald ihre Aufstellung auch nur errathen ist. Unser Infanteriegewehr ist jedem anderen überlegen, so daß unser mit demselben bewaffneter und gedeckt stehender Tirailleur auch gegen den gedeckt stehenden Feind bei einem längeren, durch Artillerie unterstützten Feuergefecht die Oberhand gewinnen muß. Entbehren aber unsere Schützen der Deckung, hat der Gegner bei dem Vortheil ihm genau bekannter Entfernungen noch den einer auf 600 bis 800 Schritt freien Front, so wird das Schützengefecht zu überaus großen Verlusten, nicht aber zur entsprechenden Schwächung und Erschütterung des Feindes führen.

In diesem Falle wird bei freilich zweifelhaftem Erfolg dennoch das tollkühnste Draufgehen weniger Opfer kosten als das Verharren im Feuer. Es bleibt dann nur übrig die Tirailleure im raschen Anlauf gegen die Lisiere heranzuführen, deren Vertheidiger in den persönlichen Kampf zu verwickeln und sie so zu verhindern ihr Feuer gegen unsere unmittelbar nachrückenden geschlossenen Abtheilungen zu richten. Die Formation der Kompagniekolonne ist für diesen Angriff die geeignete. Eine Kavallerieabtheilung muß zur Hand bleiben, um der feindlichen zu begegnen. Ein Handgemenge vor der feindlichen Stellung ist uns erwünscht, da es das feindliche Feuer verhindert und unsere Kolonnen inzwischen herankommen läßt.

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