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Ernst Dronke über Volkstheater, bürgerliches Theater und die königliche Bühne in Berlin (1846)

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Was zunächst das Schauspiel betrifft, so muß man, um gerecht zu sein, vorausschicken, daß der Mangel an tüchtigen Schauspielern in Deutschland ein allgemeiner ist. Der Grund davon liegt an dem Mangel an Theaterschulen. Es gibt in Deutschland noch eine Anzahl von Talenten unter den Schauspielern, man findet deren zuweilen sogar bei wandernden Truppen und auf kleinen Provinzialbühnen; aber ihre augenblicklichen Verhältnisse lassen sie zu keinem ernsten Studium kommen, und sind sie gesichert, so verfallen sie nicht selten ihrem Hochmut. Das Ende vom Liede ist gewöhnlich, daß sie durch grobe Effekte auf die Masse zu wirken suchen. Sie ersetzen das charakteristische Verständnis durch hohle Deklamation, das warme Gefühl durch kulissenreißerische Gebärden. Taucht aber auch einmal ein Genie auf, eine rohe, natürliche Kraft, so wird selbst diese zuletzt untergehen, da sie ihrer Manier überlassen bleibt und in Maniertheit verfallen muß. Nur die Bildung, die Schule, das Bewußtsein kann einen Schauspieler zur Vollendung führen. Wenn es eines Beispiels hierzu bedürfte, so möchten wir unsere Behauptung an einem Mann erweisen, der vielerseits für einen vollkommenen Schauspieler gilt. Döring ist allerdings ein großes Talent, er besitzt vor allem die Mittel und seltene Begabung. Allein seine hochtragischen Darstellungen sind ohne Charakteristik und Einheit, es ist keine Seele darin. Die einzelnen großen Momente, die er zuweilen als Lear, als Richelieu und namentlich als Shylock zeigte, sind ein Beleg mehr hierfür. Es sind einzelne Momente, sein Spiel als Ganzes ist ohne Psychologie und Bewußtsein.

Ein Blick auf das Repertoire zeigt uns hinlänglich, welchen Hohn man dem Berliner Publikum bieten zu können glaubt. Der Abschaum unserer seichtesten Tagesprodukte ist nicht schlecht genug, und man nimmt zu der fadesten Trivialität der Franzosen die Zuflucht. Die Stücke der Madame Birch-Pfeiffer, alter verkommener Kotzebuescher Jammer und nichtsnutzige einaktige Possen wechseln mit dem „Marquis von Letorrières" und „Voltaires Ferien". Längere Zeit bestand das Repertoire aus „Thomas Thyrnau" und „Er muß aufs Land", „Er muß aufs Land" und „Thomas Thyrnau". Wie es bei Einsendung der besten Originalarbeiten hergeht, davon nur ein Beispiel. Friedrich Hebbel ließ seine „Maria Magdalena", ein aus dem Leben gegriffenes, mit vollendeter Charakteristik durchgeführtes Drama, von Madame Krelinger bei der Prüfungskommission einreichen, erhielt es jedoch mit dem gedruckten Formular als „unbrauchbar" zurück, und zwar, wie wir aus Herrn von Küstners eigenem Munde wissen, ohne daß der Generalintendant es auch nur gelesen hätte. Werden aber endlich einmal neue Produkte aufgeführt, so geschieht es gewöhnlich erst infolge der öffentlichen Stimme und des lauten Beifalls, welchen sich die Stücke bereits an anderen Orten erworben. Das plötzliche forcierte Einstudieren hat dann gewöhnlich eine schlechte Darstellung zur Folge. Wien, Stuttgart, Dresden, Leipzig, Hamburg und namentlich das kleine Oldenburg sind Berlin immer voran. Und noch vor sechs Jahren war es die Berliner Bühne, welche für die erste in Deutschland galt.



Quelle: Ernst Dronke, Berlin (1846). Ost-Berlin: Rütten & Loening, 1953, S. 342-49.

Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung von Rütten & Loening, Berlin.

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