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Bismarcks Rede zur „Polenfrage” vor dem preußischen Abgeordnetenhaus (28. Januar 1886)

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In diesen Erwägungen befand ich mich bereits, als ich Gesandter in Petersburg war, wo ich doch berufen war, an der Auswärtigen Politik nicht bloß, sondern auch an der deutschen Politik des Preußischen Staates einen persönlichen Anteil zu nehmen, und ich hatte dort die russischen Verhältnisse Polen gegenüber ziemlich aus nächster Nähe beobachten können, infolge des großen persönlichen Vertrauens, welches mir der hochselige Kaiser Alexander schenkte. Ich hatte die Überzeugung gewonnen, daß im russischen Kabinett zwei Prinzipien tätig waren: das eine, ich möchte sagen, das antideutsche, welches das Wohlwollen der Polen und der Franzosen zu erwerben wünschte, und welches hauptsächlich vertreten war durch den Reichskanzler Fürsten Gortschakoff und in Warschau durch den Marquis Wielopolski, das andere, das hauptsächlich in dem Kaiser und anderen seiner Diener seinen Sitz hatte, das auf dem Bedürfnis beruhte, die freundschaftlichen Beziehungen mit Preußen unter allen Umständen festzuhalten — und man kann sagen: eine preußenfreundliche antipolnische, und eine franzosenfreundliche polnische Politik kämpften um den Vorrang im russischen Kabinett. [ . . . ]

Deshalb war meine Stellung als Auswärtiger Minister dem russischen Kabinett gegenüber einigermaßen vorbereitet, und von allen europäischen Kabinetten damals konnte man nur von diesem, ich will nicht sagen: eine Unterstützung, aber doch ein tolerari posse unserer deutschen Politik allenfalls erwarten. Ich hatte deshalb das Interesse, die Beziehungen zu Petersburg besonders zu pflegen. Wenn ich mir bewußt war, mit der Mehrzahl meiner Landsleute in diesem Raume der Volksvertreter ein und dieselben nationalen Ziele zu erstreben, so war es hart für mich, daß ich für die Erreichung dieser Ziele auch von keinem einzigen eine Unterstützung, eine Mitwirkung zu diesem Zweck zu erwarten hatte; im Gegenteil, die eigentümliche Lage, in die wir durch eine geheime Konvention, der gegenüber man einen Bruch des zugesicherten Geheimnisses von mir zu erpressen suchte, gebracht waren, lieferte die Mittel, die übrigen europäischen Kabinette gegen uns zu verhetzen, ihnen gewissermaßen Anzeige zu machen von unseren Schwächen und von Fehlern, die diesseits begangen wären, uns — ich kann es nicht anders nennen — in Paris und in London zu verklagen wegen der russenfreundlichen Politik, die wir machten, und es war nicht ohne Erfolg.

Ich habe durch einen Zufall, der im Jahre 1870 stattfand, indem eine Anzahl geheimer französischer Papiere in unsere Hände fiel, Indizienbeweise in die Hand bekommen für die Verbindungen, die damals von hiesigen Mitgliedern der Opposition mit der hiesigen französischen Gesandtschaft stattgefunden haben. (Hört! hört! rechts.) Ich werde das Geheimnis darüber auch ferner bewahren, weil ich eine Veröffentlichung nicht nützlich halte. Es sind seitdem dreiundzwanzig Jahre vergangen und manche politische Auffassung hat sich geändert, und alle haben in der Politik etwas gelernt seitdem; die politische Bildung ist heute eine andere.

Also es war für uns eine sehr bedenkliche, vollkommen isolierte Lage, in der wir uns bei der damaligen polnischen Debatte in diesen Räumen befanden. Beim Beginn der polnischen Insurrektion fand ich in Paris noch eine so ziemlich wohlwollende Beurteilung; man war dort mehr antirussisch als antipreußisch. Aber, nachdem die Verhandlungen im Abgeordnetenhause stattgefunden hatten, die gewissermaßen ein Appell des Hauses an das Ausland waren in dem Sinne, wie das englische Sprichwort sagt: Hit him, he has no friend (haut ihn, er hat keinen Freund) — in der Art wurden wir denunziert in Paris — da wechselte die Auffassung des Kaisers Napoleon, und er fing an, auf uns zu drücken in einer unfreundlichen Weise. Und daß wir nicht infolge dieser Verhandlungen in diesen preußisch-deutschen Räumen nachher unter die Schraube einer diplomatischen Pression genommen worden sind, bei der England, Frankreich und Österreich vereinigt waren, und die nur entweder mit einem schmählichen Rückzug oder mit der Aufnahme eines Krieges, zu dem Rußland 1863 geneigt war, als Verbündete Rußlands endigen konnte, das danken wir nur den deutschfreundlichen Regungen, die schließlich der alte Lord Russell in England noch hatte. England lehnte es ab, sich den Absichten Frankreichs anzuschließen. In der Gefahr befanden wir uns isoliert, und Preußen war damals nicht so stark, wie jetzt, wir hatten den Deutschen Bund nicht hinter uns. Ich stand genau an dieser selben Stelle und wurde in diesen Räumen von der fast einstimmigen Versammlung mit einer Flut voll Hohn und Haß überschüttet, wo ich dachte: Nun, da ist der englische und der französische Botschafter doch noch weniger gehässig und feindlich gegen mich, als meine Landsleute im Preußischen Landtage. (Hört, hört! rechts. Unruhe links.)

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