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Ottilie Baader, Näherin und Heimarbeiterin (1870er Jahre)

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Nun wurde drauflosgeschuftet. Das Resultat aber war kläglich; von dem um die Hälfte gekürzten Lohn wurden uns die vollen Kosten für Garn und Nadeln in Abzug gebracht. Das brutale Vorgehen des Unternehmers brachte uns zur Besinnung. Wir beschlossen einmütig, lieber zu feiern, als für einen solchen Schundlohn zu arbeiten, von dem zu existieren nicht möglich war. Drei Arbeiterinnen, zu denen auch ich gehörte, wurden bestimmt, dies dem Chef mitzuteilen. Als die Deputation ihm nun den Gesamtbeschluß vortrug, wollte er uns damit beschwichtigen, daß er erzählte, sobald Siegesnachrichten eingingen, würde das Geschäft sich sofort wieder heben und die Löhne steigen. Er hatte wohlweislich vermieden zu sagen, „die alte Höhe erreichen”. Wir waren glücklicherweise in dem Moment schlagfertig genug zu antworten, der Lohn steige nie so schnell, wie er herabgesetzt würde und zudem habe dann das Geschäft ein volles, zu den niedrigen Löhnen hergestelltes Lager. Als der Chef merkte, daß wir uns nicht so leicht unterkriegen ließen, wurde er so wütend, daß er uns rot vor Ärger anschrie: „Na, dann werde ich euch den vollen Preis wieder zahlen! Wollt ihr nun wieder arbeiten?” Da antworteten wir ihm kurz: „Jawohl, nun werden wir wieder arbeiten.”

Wir waren durch unsern Erfolg selbst überrascht. Dem Unternehmer aber war es ebenso neu, daß Arbeiterinnen sich zusammenfanden und geschlossen ihre Forderungen stellten. Er war überrumpelt worden, zudem waren die Kragennäherinnen damals auch sehr gesucht. Mich ließ der Chef dann bald nachdem einmal in sein Kontor rufen und sagte mir, ich brauchte nicht zu befürchten, daß mir mein Eintreten in dieser Sache bei meiner Arbeit etwa schaden würde. Solange er Arbeit hätte, würde ich auch bei ihm zu tun finden. Das hörte sich zwar ganz gut an, stimmte aber nicht. Es wurde hier und da an meiner Arbeit herumgetadelt, und es dauerte nicht lange, da gefiel mir diese Art nicht mehr, und ich ging von selbst fort. Die Einmütigkeit der Arbeiterinnen, die uns diesen Erfolg gebracht hatte, war nicht von Dauer. Es stellte sich auch nach den Siegesnachrichten der geschäftliche Aufschwung nicht so schnell wieder ein. Die Unternehmer hatten aber gelernt. Sie griffen eben nicht wieder so brutal ein, sondern gingen behutsamer vor. Es wurden mit einzelnen Arbeiterinnen, die in besonderer Notlage waren, Lohnabzüge vereinbart. Statt des Zusammenhalts entstand dadurch natürlich Mißtrauen unter den Arbeiterinnen, und es dauerte noch manches Jahr, bis die Arbeiterinnen die Absicht erkannt, und dem Unternehmertum in geschlossener Organisation entgegentraten. Das war für viele ein langer Leidensweg.

Ich kaufte mir dann eine eigene Maschine und arbeitete zu Hause. Dabei habe ich das Los der Heimarbeiterin zur Genüge kennengelernt. Von morgens um sechs bis nachts um zwölf, mit einer Stunde Mittagspause, wurde in einer Tour „getrampelt”. Um vier Uhr aber wurde aufgestanden, die Wohnung in Ordnung gebracht und das Essen vorbereitet. Beim Arbeiten stand dann eine kleine Uhr vor mir und es wurde sorgfältig aufgepaßt, daß ein Dutzend Kragen nicht länger dauerte wie das andere, und nichts konnte einem mehr Freude machen, als wenn man ein paar Minuten sparen konnte.

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