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Helmuth James Graf von Moltkes Denkschrift an Hans Wilbrandt und Alexander Rüstow über die Zustände in Deutschland sowie den Warschauer Ghettoaufstand (9. Juli 1943)

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Urteile gegen katholische Priester.

Besonders interessant unter den jüngsten Fällen von Verfolgung katholischer Priester ist der des Dekans der St.-Hedwig-Kirche in Berlin. Wegen der Sorge und des Schutzes, die er Juden und anderen Opfern politischer Verfolgung entgegenbrachte, wurde er vor einigen Wochen vor einem Gerichtshof angeklagt. In seiner Verteidigung stand er für alles ein, was er tat, und beeindruckte angeblich einige seiner Richter mit seinem unerschrockenen Mut tief. Sein Urteil war Deportierung nach „Litzmannstadt“ (Lodz, Polen). Nach der Urteilsverkündung erklärte der Dekan feierlich, dass ihn das Urteil sehr glücklich mache und dass es besonders zu ihm passe, da es nicht nur sein Wunsch, sondern seine höhere Berufung sei, den schrecklich geplagten Insassen der Konzentrationslager von Litzmannstadt Trost, Erbauung und Hoffnung zu spenden.

Die alliierte Einstellung gegenüber den Österreichern.

Beträchtliches Erstaunen wird von Informanten über die Tatsache geäußert, dass zwischen Österreichern und Deutschen unterschieden wird, wenn die Alliierten die Schuld und Beteiligung des deutschen Volkes an dem, was geschehen ist und was täglich in seinem Namen passiert, diskutieren. Um der Wahrheit willen sollte eingeräumt werden, dass in Österreich Grausamkeiten und unmenschliche Gräueltaten begangen worden sind, wie sie sich selbst in Deutschland kaum hätten ereignen können. Die Bevölkerung Österreichs hat Berichten zufolge an Exzessen teilgenommen, von denen sich das deutsche Volk abseits gehalten hat. Diese Tatsachen werden umso deutlicher mit der Bestätigung, dass Sudetendeutsche und Österreicher für die Arbeit als Wache in Konzentrationslagern bevorzugt werden, weil sie als besonders grausam gelten. Es hat sich eine Art von Klassifizierung nach Volksgruppen des Wachpersonals in absteigender Reihenfolge ihrer Schrecklichkeit herausgebildet, nach der Sudetendeutsche die Liste anführen, die Österreicher zweite sind, die Bayern dritte und der Rest Deutschlands mit weitem Abstand folgt. Die Klassifizierung wird, wie berichtet wird, im Allgemeinen von Insassen der Konzentrationslager und Ghettos bestätigt.

Die Situation in den besetzten Gebieten.

Die Lage in Griechenland, Jugoslawien und Kroatien verursacht besondere Sorge. Eine Zunahme der Partisanenaktivität wird erwartet, während die Eröffnung einer zweiten Front näher rückt, und neue Maßnahmen zur rigorosen Unterdrückung der Rebellen sind dementsprechend letzten Monat ergriffen worden. Die deutschen Verluste infolge der Partisanenaktivität nach Besetzung des Landes beliefen sich bis Ende Juni auf 27.000 Offiziere und Männer. In Griechenland haben Berichten zufolge die Verlagerungen im Transportsystem, insbesondere durch gesprengte Brücken und Straßenabschnitte, wiederholt zu gravierenden Schwierigkeiten geführt.

Bezüglich der „inneren Front“ in Frankreich wird festgestellt, dass die Einschüchterung infolge der dort durchgeführten terroristischen Maßnahmen bislang den Willen der französischen Bevölkerung, Widerstand zu leisten, davon abgehalten hat, sich in noch deutlicheren Aktionen auszudrücken. Für den Fall einer Invasion des europäischen Kontinents und einem Näherrücken der Fronten um den inneren Verteidigungsring von Großdeutschland ist nach einigen Berichten geplant, durch Maßnahmen von Gestapo und SS ganze Bevölkerungsgruppen umbarmherzig auszulöschen, die sich im Zweifelsfall an anti-deutschen Aktivitäten beteiligen könnten.



Quelle: Helmuth James Graf von Moltkes Denkschrift an Hans Wilbrandt und Alexander Rüstow über die Zustände in Deutschland sowie den Warschauer Ghettoaufstand (9. Juli 1943), in U.S. National Archives and Records Administration, Record Group 226, Entry 137, Box 23, Folder 160, Envelope 3a, part 2. (auf Englisch)

Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche von Helmut Strauss.

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