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Bismarcks riskantes diplomatisches und militärisches Spiel aus britischer Sicht (Februar-August 1866)

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Meiner bescheidenen Meinung nach ist ein großer Schritt zur Erreichung dieser Zielsetzung getan worden, und der rasche Ablauf der Ereignisse wird Preußen – wenn nicht gegenwärtig, so in nicht allzu großer Ferne – dazu zwingen, bereitwillig oder widerwillig die Nation um sein Banner zu scharen und sich an die Spitze Deutschlands zu setzen.

Graf Bismarck verfährt derzeit klug, indem er seine Ambitionen auf den Erwerb Norddeutschlands beschränkt. Preußen könnte momentan keinen Krieg mit Frankreich riskieren, und ohne Zusammenstoß mit Frankreich wird keine deutsche Einheit geschaffen werden.

Aber es gibt einen weiteren Beweggrund, der für Graf Bismarck große Bedeutung haben muss – nämlich den Wunsch, die bereits erreichten Vorteile nicht zu gefährden. Falls in diesem Augenblick dem König von Preußen die Kaiserkrone angetragen würde, und zwar im Verbund mit jener von der Nationalversammlung in Frankfurt 1849 verabschiedeten Verfassung und mit dem von jener Versammlung beschlossenen Wahlrecht, dann würde das gesamte Regierungssystem in Preußen untergehen. Die Adelspartei mit ihrer beschränkten Auffassung konstitutioneller Rechte würde hinweggefegt werden und in Preußen würde eine moralische Revolution von ebenso großer Tragweite stattfinden wie die unglaublichen Erfolge, die seine Waffen begleiteten.

Aus diesen Gründen wird Graf Bismarck daher bis zum Äußersten jedem Druck wiederstehen, der ihn über die Grenzen der in Nikolsburg vereinbarten Präliminarien hinaus treiben wollte, und er wird sich mit der Schaffung eines großen und mächtigen Preußen zufrieden geben, ohne die Krone auf das Haupt seines Souveräns setzen zu wollen.

Ich darf bemerken, dass Graf Bismarck mit großartigem Erfolg eine Phase seines ehrgeizigen Vorhabens durchschritten hat – nämlich die des „Niederreißens“. Die zweite Phase beginnt gerade – nämlich das Werk des Wiederaufbaus. Bei der Durchführung dieser letzteren Phase wird Graf Bismarck auf größere Schwierigkeiten stoßen – Schwierigkeiten allerdings, die seine Energie und sein eiserner Wille erfolgreich meistern könnten. Die Anforderungen einer theoretisch konstitutionellen, praktisch jedoch absoluten Monarchie – die reaktionäre Neigung einer siegreichen Militärpartei – die stark „partikularistischen“ Gefühle in den enteigneten Staaten, die nicht von einem Tag auf den anderen ausgemerzt werden – der Fanatismus einer Adelspartei, deren politische Ansichten mit einer vergangenen Zeit verknüpft sind – und der lebhafte Druck der Fortschrittspartei, unbeirrt durch die Niederlage, werden die Staatskunst, das Geschick und die Geduld des Grafen Bismarck hart auf die Probe stellen. [ . . . ]

Dies sind keine zu unterschätzenden Probleme, die er [Bismarck] zu überwinden haben wird. Durch diese Untiefen wird er das Staatsschiff steuern müssen, und er wird Glück haben, wenn er beim Umschiffen der „Skylla“ nicht zur „Charybdis“ getrieben wird.

Kühn im Entwurf und energisch in der Tat, ungehemmt durch Skrupel und ungerührt von Prinzipien, regierend mittels Furcht, wo er durch Liebe nicht gewinnen kann, hält dieser unerschrockene, geschickte und mächtige Minister nun die bedeutendste Rolle in Händen, die vielleicht je einem Staatsmann zugefallen ist. Vom Erfolg seiner Politik hängt nicht nur die zukünftige Bedeutung und Prosperität seines Landes ab, sondern auch die Wahrung von Sicherheit und Frieden in Europa.



Quelle: Lord Augustus Loftus, The Diplomatic Reminiscences of Lord Augustus Loftus, Second Series, 1862-1879, 2 vols. London: Cassell, 1894, vol. 1, S. 39, 43-45, 60, 69, 99, 105-8.

Übersetzung: Erwin Fink

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