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Friedrich Fabri, Bedarf Deutschland der Kolonien? (1879)

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Daß solche organisirte Auswanderung, wie wir sie bedürfen, neben ihrer wirthschaftlichen Bedeutung zugleich gewichtige nationale Gesichtspunkte in sich schließt, wollen wir nur im Vorbeigehen andeuten und fragen: Sollen unsere Brüder und Landsleute, die über See ziehen, mit raschem Verlust von Sprache und Nationalität sich nur immer wieder unter unsere angelsächsischen Vettern unterschieben, oder in den verlotterten überseeischen Gemeinwesen romanischen Stammes sogar, wie unberechtigte Eindringlinge, oft noch unwürdig sich behandeln lassen? Ist hier nicht auch in nationaler Beziehung eine Lebensfrage für das Deutsche Reich gegeben? Wäre die deutsche Reichs-Regierung auf die Dauer unfähig oder unwillig, mit Verständniß und Energie auf diese Frage der Organisation und Leitung unseres Auswanderungswesens einzutreten, so würde sie ohne Zweifel die normale Entwicklung unseres nationalen Wohlstandes und unserer politischen Machtstellung aufs tiefste beschädigen.

Was heißt aber Leitung, Organisation unserer Auswanderung? Da man derselben unmöglich ihre Ziele vorschreiben kann, so besagt diese Forderung nichts anderes, als: wo möglich unter deutscher Flagge in überseeischen Ländern unserer Auswanderung die Bedingungen schaffen, unter welchen sie nicht nur wirthschaftlich gedeihen, sondern unter Wahrung ihrer Sprache und Nationalität auch in reger nationaler und ökonomischer Wechselwirkung mit dem Mutterlande verbleiben kann. Mit anderen Worten: die verständnißvolle und energische Inangriffnahme einer wirklichen Colonial-Politik ist das einzig wirksame Mittel, die deutsche Auswanderung aus einem Kräfte-Abfluß in einen wirthschaftlichen, wie politischen Kräfte-Zufluß zu verwandeln.
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Verschiedene culturhistorisch bedeutungsvolle Gesichtspunkte ergeben sich aus dieser kurzen Beleuchtung des eigenthümlichen Wesens und der Entwicklung von Ackerbau-Colonien. Erstlich, daß hier eine durchaus der Neuzeit eigenthümliche Form colonialer Bildung vorliegt. Zweitens, daß nur ein Mutterland, das beträchtliche überschüssige Arbeitskräfte in stetiger Folge abzugeben vermag, zur Gründung von Ackerbau-Colonien berufen ist; daß demnach diese neuere Form colonialer Schöpfung heute lediglich dem germanischen Stamme zukommt. Auch das richtige System der Verwaltung dürfte durch Englands glücklichen Vorgang bereits festgestellt sein. Da das Schwergewicht dieser subtropischen Colonien ganz auf der weißen Einwanderung ruht, so findet durch diese eine Zurückdrängung der meist spärlichen Reste farbiger Eingeborenen nothwendig statt. Vor dem Gesetze, jedoch nicht völlig in politischen Rechten, dem Weißen gleichgestellt, sind sie entweder als Arbeiter über die Colonie verstreut, oder in bestimmte Lokationen eingeschränkt. Ein Zustand, der, wo er gleichzeitig von humanen Bestrebungen für die intellektuelle und moralische Entwicklung der Eingebornen begleitet wird, sachlich durchaus richtig gegriffen sein dürfte. Im Uebrigen gilt in diesen brittischen Ackerbau-Colonien das Princip: möglichst wenig Regierens aus der Heimath, vielmehr, sowie die Colonie dazu erstarkt ist, möglichst vollständige Selbstregierung auf Grund politisch freier Institutionen. Jeder Gedanke, aus solchen Colonien irgendwelche directe Einnahme-Quellen für das Mutterland zu gewinnen, wäre ein grober nationalökonomischer Fehler. Vielmehr wird dieses, namentlich in den Anfängen, mancherlei Subventionen zu leisten haben. Aber das Mutterland wird diese auch bald mit den reichlichsten Zinsen wieder empfangen. Wir denken dabei nicht an jene Colonialen, die je und dann mit reichem Erwerb in das Mutterland wieder zurückkehren, obwohl auch diese Form der Vermehrung des nationalen Wohlstandes keine unwichtige ist. Sie ist in Ackerbau-Colonien aber doch eigentlich nur Ausnahme. Viel gewichtvoller ist jedenfalls das gesammtökonomische Verhältniß zwischen Mutterland und Colonie. Der Austausch der colonialen Produkte gegen die Industrie-Erzeugnisse des Mutterlandes wird nicht nur in steigender Progression sich entwickeln, die Rhederei des letzteren stärken, sondern, was ja bei Handels-Beziehungen von so großer Bedeutung, ein festes und stetiges Wechsel-Verhältniß zwischen dem beiderseitigen Consum und Absatz herstellen. Sowohl die Rhederei, wie die Industrie anderer Staaten wird selbst bei völliger Handels-Freiheit oder doch mäßigen colonialen Zollschranken gegenüber diesem festem Verhältniß zu dem Mutterlande mit erfolgreicher Concurrenz einzudringen sich vergeblich bemühen. Das zeigen die brittischen Colonien in zahlreichen handelsstatistischen Thatsachen. Angesichts derselben, im Blick auf unsere deutsche Auswanderung, im Blick auf unsere industrielle und wirthschaftliche Lage könnte, so scheint es uns, eigentlich wohl nur der Unwissende oder der durchaus Voreingenommene leugnen, daß Ackerbau-Colonien dem neuen Deutschen Reiche dringend noth seien.

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