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Hellmuth von Gerlach beschreibt eine konservative Wahlkampagne im ländlichen Schlesien (1880er)

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Wohlau liegt in Mittelschlesien. Wir hatten dort nicht die Latifundien, wie sie in Oberschlesien dominieren. Wir hatten zumeist Güter mittlern Bodens von 2—4000 Morgen. Zum großen Teil waren das sogenannte „walzende Güter“, die ihren Besitzer oft wechselten. Das wirklich bodenständige Junkerelement, das in gewissen Teilen Pommerns und der Mark vorwiegt, fehlte fast gänzlich. Wenn ein Gut fünfzig Jahre in einer Familie war, pflegte dem Inhaber zur Feier dieses außerordentlichen Ereignisses der Rote Adlerorden IV. Güte verliehen zu werden.

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Viele der Güter waren in den Händen verabschiedeter Offiziere. Die Herren hatten die Landwirtschaft selbstverständlich nicht gelernt, glaubten aber, nachdem sie wegen militärischer Unfähigkeit abgehalftert worden waren, daß ihre Geistesgaben zum Betriebe des Großgrundbesitzes immer noch reichlich genügen würden. Wenn sie dann Dummheit über Dummheit machten und zudem von ihren Verwaltern hinten und vorne betrogen wurden, so schrieen sie Zeter und Mordio über die Not der Landwirtschaft und verlangten Erhöhung der Getreidezölle. Sie waren dabei nicht einmal bewußt unehrlich. Die Landwirtschaft galt eben bei diesen Junkern als ein anständiger Beruf, der keine besondere Vorbildung benötige und trotzdem einen anständigen Menschen anständig ernähren müsse.

Uebermäßiger Luxus wurde nicht entfaltet. Freilich: Reitpferde, ein Paar Gespanne Wagenpferde, ein Dutzend Kutschen, ein gefüllter Weinkeller, eine gepflegte Jagd, gute Jagddiners, die Söhne Corpsstudenten oder Kavallerieoffiziere — das galt als selbstverständlich. Gejeut in dem Maße, wie zum Beispiel in Oberschlesien, wurde nicht. Es gab allerdings ein paar leichtsinnige Hühner, die, zumal nach den Jagddiners, das Hazardieren eifrig betrieben, wobei in Ermangelung genügenden Bargeldes oft Streichhölzer die Rolle von „ships“ spielen mußten. Aber im allgemeinen beschränkte man sich auf einen soliden Sturmwhist, L’hombre oder Skat.

Eigenartig waren die Steuergrundsätze vieler Großgrundbesitzer. Wenn sie einen Riesenpark hatten, so galten ihnen die Kosten der Unterhaltung des Parks als notwendige Betriebsausgaben. Wenn sie, statt ihre Kinder in die Volksschule zu schicken, sich Hauslehrer und Gouvernanten hielten, so erschienen auch diese Kosten als abzugsfähige Betriebsausgaben. Wenn ihnen die Jagd, die durch Verpachtung bedeutende Summen hätte bringen können, Unkosten verursachte, weil sie sie wie waidmännischen Luxus handhabten, so buchten sie selbst das auf die Seite der notwendigen Ausgaben. Ihre oft prachtvollen Schlösser rechneten sie fast als Nichts. Ich entsinne mich noch, wie ein Großgrundbesitzer im Kreise seiner Standesgenossen furchtbar auf den Landrat schimpfte, weil dieser sein Schloß von 20 Fenstern Front mit einem Mietswert von 900 Mark angesetzt hatte. In der Steuererklärung hatte der Besitzer sich nämlich nur 300 Mark Jahresmietswert herausgerechnet. Ich fragte ihn, wie er zu dieser Schätzung komme, da doch die Verzinsung des Baukapitals eine Anzahl von Tausendern darstelle. Er erwiderte: „In meinem Dorf gibt es keine andern möglichen Mieter als Landarbeiter. Die verdienen so wenig Geld, daß sie zusammen für das Schloß höchstens 300 Mark Miete zahlen könnten.“ Auch der Mann war subjektiv durchaus ehrlich. Die Agrarier haben eben volkswirtschaftliche Auffassungen sui generis.

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