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Theodor Fontane beschreibt eine konservative Wahlkampagne im ländlichen Brandenburg (1880er Jahre)

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Diese Bedenken Woldemars waren nur allzu berechtigt. Es stand durchaus nicht fest, daß der alte Dubslav, so beliebt er selbst bei den Gegnern war, als Sieger aus der Wahlschlacht hervorgehen müsse. Die Konservativen hatten sich freilich daran gewöhnt, Rheinsberg-Wutz als eine »Hochburg« anzusehen, die der staatserhaltenden Partei nicht verlorengehen könne, diese Vorstellung aber war ein Irrtum, und die bisherige Reverenz gegen den alten Kortschädel wurzelte lediglich in etwas Persönlichem. Nun war ihm Dubslav an Ansehen und Beliebtheit freilich ebenbürtig, aber das mit der ewigen persönlichen Rücksichtnahme mußte doch mal ein Ende nehmen, und das Anrecht, das sich der alte Kortschädel ersessen hatte, mit diesem mußt es vorbei sein, eben weil sich's endlich um einen Neuen handelte. Kein Zweifel, die gegnerischen Parteien regten sich, und es lag genau so, wie Lorenzen an Woldemar geschrieben, »daß ein Fortschrittler, aber auch ein Sozialdemokrat gewählt werden könne«.

Wie die Stimmung im Kreise wirklich war, das hätte der am besten erfahren, der im Vorübergehen an der Comptoirtür des alten Baruch Hirschfeld gehorcht hätte.

»Laß dir sagen, Isidor, du wirst also wählen den guten alten Herrn von Stechlin.«

»Nein, Vater. Ich werde nicht wählen den guten alten Herrn von Stechlin.«

»Warum nicht? Ist er doch ein lieber Herr und hat das richtige Herz.«

»Das hat er; aber er hat das falsche Prinzip.«

»Isidor, sprich mir nicht von Prinzip. Ich habe dich gesehn, als du hast scharmiert mit dem Mariechen von nebenan und hast ihr aufgebunden das Schürzenband, und sie hat dir gegeben einen Klaps. Du hast gebuhlt um das christliche Mädchen. Und du buhlst jetzt, wo die Wahl kommt, um die öffentliche Meinung. Und das mit dem Mädchen, das hab ich dir verziehen. Aber die öffentliche Meinung verzeih ich dir nicht.«

»Wirst du, Vaterleben; haben wir doch die neue Zeit. Und wenn ich wähle, wähl ich für die Menschheit.«

»Geh mir, Isidor, die kenn ich. Die Menschheit, die will haben, aber nicht geben. Und jetzt wollen sie auch noch teilen.«

»Laß sie teilen, Vater.«

»Gott der Gerechte, was meinst du, was du kriegst? Nicht den zehnten Teil.«

Und ähnlich ging es in den andern Ortschaften. In Wutz sprach Fix für das Kloster und die Konservativen im allgemeinen, ohne dabei Dubslav in Vorschlag zu bringen, weil er wußte, wie die Domina zu ihrem Bruder stand. Ein Linkskandidat aus Cremmen schien denn auch in der Wutzer Gegend die Oberhand gewinnen zu sollen. Noch gefährlicher für die ganze Grafschaft war aber ein Wanderapostel aus Berlin, der von Dorf zu Dorf zog und die kleinen Leute dahin belehrte, daß es ein Unsinn sei, von Adel und Kirche was zu erwarten. Die vertrösteten immer bloß auf den Himmel. Achtstündiger Arbeitstag und Lohnerhöhung und Sonntagspartie nach Finkenkrug - das sei das Wahre.

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