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Gerhart Hauptmann, Vor Sonnenaufgang, Uraufführung und skandalträchtige Aufnahme durch das Publikum (20. Oktober 1889)

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KAHL. Die saufen wie d’Schweine.

HELENE. Ach, so was vererbt sich?

LOTH. Es gibt Familien, die daran zugrunde gehen, Trinkerfamilien.

[ . . . ]


Zweiter Akt

[ . . . ]

LOTH. Sie glauben gar nicht, wie sehr ich das Land liebe! Leider wächst mein Weizen zum größten Teil in der Stadt. Aber nun will ich’s mal durchgenießen, das Landleben. Unsereiner hat so ’n bißchen Sonne und Frische mehr nötig als sonst jemand.

HELENE, seufzend. Mehr nötig als . . . inwiefern?

LOTH. Weil man in einem harten Kampfe steht, dessen Ende man nicht erleben kann.

HELENE. Stehen wir andern nicht in einem solchen Kampfe?

LOTH. Nein.

HELENE. Aber — in einem Kampfe — stehen wir doch auch?!

LOTH. Natürlicherweise! Aber der kann enden.

HELENE. Kann — da haben Sie recht! — und wieso kann der nicht endigen — der, den Sie kämpfen, Herr Loth?

LOTH. Ihr Kampf, das kann nur ein Kampf sein um persönliches Wohlergehen. Der einzelne kann dies, soweit menschenmöglich, erreichen. Mein Kampf ist ein Kampf um das Glück aller; sollte ich glücklich sein, so müßten es erst alle andern Menschen um mich herum sein; ich müßte um mich herum weder Krankheit noch Armut, weder Knechtschaft noch Gemeinheit sehen. Ich könnte mich sozusagen nur als letzter an die Tafel setzen.

HELENE, mit Überzeugung. Dann sind Sie ja ein sehr, sehr guter Mensch!

LOTH, ein wenig betreten. Verdienst ist weiter nicht dabei, Fräulein, ich bin so veranlagt. Ich muß übrigens sagen, daß mir der Kampf im Interesse des Fortschritts doch große Befriedigung gewährt. Eine Art Glück, die ich weit höher anschlage als die, mit der sich der gemeine Egoist zufriedengibt . . .

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