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Emil Lehmann spricht zu den Leipziger Juden über die antisemitische Bewegung (11. April 1880)

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In den wenigen Fällen, in denen der Ausschuß des Gemeindebundes trotzdem Strafanträge gestellt, hat er theils – vor längerer Zeit – Bestrafung erzielt, theils – in neuester Zeit – staatsanwaltschaftliche Ablehnungen erlitten. Schriften, die in der Reichshauptstadt, zur Zeit der Wahlen erschienen waren, und vor jüdischen Abgeordneten gewarnt hatten, enthielten nach Ansicht des Staatsanwalts keine Anreizung zu Gewaltthätigkeiten, in ihrem beschimpfenden Hinweis auf Juden in Galizien vermißte er den Thatbestand einer Aufreizung verschiedener Klassen deutscher Bevölkerung, obschon die betreffenden Schriften in Deutschland und offenbar nur für Deutsche geschrieben, offenbar nur gegen die Juden in Deutschland gerichtet sind. Die Juden, sagt er weiter, seien nicht als Religionsgesellschaft, sondern als Rasse und Volksstamm ins Auge gefaßt. Spöttische und sarkastische Bemerkungen seien nicht zu verwechseln mit beschimpfenden Aeußerungen.

Ein anderer Staatsanwalt versagte die Verfolgung eines Artikels, in welchem in schmählichster Weise die Juden angegriffen, der Fahneneid eines Juden als Geschäftsformel, das Reserveoffizierspatent als Gegenstand jüdischer Geschäftsspekulation dargestellt war, weil die Beleidigung des jüdischen Volksstammes nicht ohne Weiteres jedes einzelne Glied desselben treffe.

Und dennoch! Wir Juden fühlen es am besten, daß mit den judenfeindlichen Angriffen wir Alle bedroht, wir Alle berührt sind. Und jeder Christ, der befangene wie der unbefangene, wird zugeben, daß in diesen Schriften nicht der Jude Meyer, sondern die Mehrzahl aller Juden gemeint ist.

Wenn irgendwie das Sprichwort calumniare audacter, semper aliquid haeret, verleumde keck, es bleibt immer etwas hängen, sich als Wahrwort zeigt – so gegenüber den Juden. Die Wurzeln der Abneigung liegen tief. Sie hängen mit den frühsten Schulerinnerungen zusammen, in den Gemüthern der Urtheilslosen und Vorurtheilsvollen glimmt der Funke; durch derlei Hetzschriften wird er genährt.

Und nicht blos in den Gemüthern der Urtheilslosen. Wenn die Regierungen, wenn die Staatsanwälte nicht energisch gegen Derartiges vorgehen – obwohl in ihnen Vorurtheilsfreiheit und Gerechtigkeitssinn herrscht, obschon von allerhöchster Stelle im deutschen Reiche aus wiederholt in entschiedenster Weise die Mißbilligung jener Schmähschriften zum Ausdruck gelangt ist – so beweist das eben, daß man einem allzusehr verbreiteten Vorurtheile gegenüber Bedenken trägt, die volle Schärfe des Gesetzes zur Anwendung zu bringen.

Unbedenklich, ungefährlich sind diese Schriften keineswegs. Für verhältnißmäßig minder gefährlich erachte ich indes die schon in ihrem Tone als reine Ausgeburten des Hasses und des Neides und der niedrigsten Leidenschaften, wo nicht der reinen Spekulation sich kundgebenden Schmähschriften pessimistischen, ultramontanen, agrarischen, christlich-sozialen Gepräges. Sie gehen an ihren eignen Uebertreibungen unter. Auch die große Masse, an welche sie sich wenden, hat trotz allen Vorurtheils, doch Gerechtigkeitsgefühl und gesunden Sinn genug, um schließlich dieser Aufhetzungen müde zu werden.

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