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Hofprediger Adolf Stöcker thematisiert den Antisemitismus in der Christlich-Sozialen Arbeiterpartei (19. September 1879)

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Zuweilen kommt ein Strahl der Erkenntniß von der eigenen Misère auch über die jüdischen Schriftsteller selbst
[ . . . ]. Die reformerische israelitische Wochenschrift findet es doch der Mühe werth, ihren Lesern den Vers vorzulegen:

Ueberall, wo es gilt zu sehen und zu hören,
Scheint die Zahl der Juden sich täglich zu mehren.
In Promenaden, Theatern, Concerten und Bällen,
Siehst du meist Juden in allen Fällen.
Willst du wo mehr Christen als Juden sehn,
Mußt du Freitag Abend in die neue Synagoge gehn.

„Ganz sicher ist es, daß in Berlin nicht ein Viertel, wahrscheinlich, daß kaum ein Zehntel der jüdischen Gymnasiasten und Realschüler, wenn sie über 13 Jahre alt sind, ein Wort von Religionslehre hören.“ Die Moralität bleibt auf den Satz beschränkt: „was das Strafgesetz nicht verbietet, oder der Strafrichter nicht erreichen kann, ist erlaubt, nützlich, klug.“ Diese jüdischen Stimmen datiren vom Jahre 1871; es ist heute noch viel schlechter geworden. Die Juden bekämpfen unseren Glauben, aber sie wissen ganz gut, daß der Mensch ohne Religion nicht sein kann. [ . . . ]

Alles Dies hat wohl zusammengewirkt, um die Juden, besonders die jüdischen Zeitungsschreiber, auf einen Grad von Intoleranz zu heben, der nachgerade unerträglich wird. In vollem Ernste lautet unsere zweite Bitte an die jüdische Presse: ein klein wenig toleranter! Wir wollen nicht wie viele Andere, die über dies Thema geschrieben haben, den Talmud mit seiner Verachtung fremder Völker, mit seinem Haß gegen jedes Menschenrecht citiren. Wir glauben, daß man die heutige Judenschaft in ihrer Gesammtheit nicht für Bücher verantwortlich machen kann, die vor Jahrtausenden geschrieben sind. Wir müßten ebenso den Katholiken alle Ketzerverfolgungen und Inquisitionsprozesse anrechnen, die doch auch von keinem Papste jemals als ein Unrecht widerrufen sind. Auch ist darin in der That eine Aenderung eingetreten. Obwohl die strengen Juden noch heute den Talmud als ebenso unfehlbar wie das Gesetz annehmen, obwohl einige unbesonnener Weise erklären, daß ihnen der ganze Talmud, also auch die vielen rachsüchtigen und wilden Stellen desselben, heilig sei, so ist doch offenbar durch das langjährige Zusammenwohnen mit den Christen, durch die mancherlei geschäftlichen Beziehungen, durch den milderen Geist der Zeit in der Synagoge der Christenhaß mehr und mehr gewichen.

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