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Der Einfluss der Leihbibliotheken auf den Romanabsatz (1884)

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Wenn auch die pecuniären Verhältnisse diesen Leihbibliothekskunden gestatten würden, den Bedarf dem Buchhandel zu entnehmen, so liegen doch schwerwiegende Gründe dagegen vor. Kann man täglich sowie zur Leihbibliothek zur Buchhandlung um seinen Bedarf schicken? Vielleicht, wenn man sicher wäre, stets etwas Gutes zu erhalten; der Leihbibliothek sendet man das Mißfällige eben in der nächsten Stunde zurück. Der Bedarf ist zu massenhaft, und wenn gekauft, wohin endlich mit dem Wuste? Ein Buch nochmals zu lesen, kommt hier kaum vor; man liest es ja überhaupt nur, um es zu kennen, oder um einschlafen zu können. Außerdem ist hier die von Franzos* geschilderte »Familie Meyer« zahllos vertreten. Vielleicht ändert sich das mit der Zeit, vielleicht gehört es in späterer Zeit mit zur Mode, Romane zu kaufen wie Gemälde und Sculpturen.

So hat einerseits die Umwandlung unserer socialen Zustände ihren Einfluß auf den Romanabsatz geübt, andererseits hat der deutsche Verleger redlich mitgeholfen, denselben zu zerstören. Die seit Anfang der fünfziger Jahre allgemein gebräuchlich gewordenen Preisherabsetzungen haben dem Publicum jede Illusion von dem pecuniären Werthe eines Romans gründlich zerstört. In früherer Zeit betrachtete man eine nach und nach gesammelte Hausbibliothek als erspartes Capital, das, wenn auch nicht Interessen tragend, doch seinen Werth behielt, der im Nothfalle wieder flüssig gemacht werden, oder den Erben hinterlassen werden konnte. Es erzielten auch zu jener Zeit bei Verlassenschaftsversteigerungen Romane oft höhere Preise, als der ursprüngliche betrug. Man lief mit einem Worte nicht Gefahr, seinen Besitz in Büchern über Nacht entwerthet zu sehen; und deshalb konnte es geschehen, daß, wie wir es erlebt, ein ehrsamer Tischlermeister sich die Romane Paul de Kock’s nach und nach anschaffte, zuerst zu seiner Unterhaltung, und dann, wie er sagte, um sie seinen Kindern zu hinterlassen.

Es fragt sich sehr, ob der Verleger früherer Zeit, der seine Verlagsreste dem Maculaturhändler verkaufte, nachdem er den Titel und ersten Bogen herausgerissen, nicht weit mehr im wohlverstandenen eigenen Interesse handelte als der heutige Verleger, der diese Reste entweder selbst oder durch die Exportbuchhandlung zu Schleuderpreisen auf den Markt sendet. Hierdurch hat sich der Verleger selbst das Absatzgebiet für seine Novitäten gründlich zerstört, wie er jetzt theilweise im Begriff steht, durch Verwendung eines unhaltbaren Papiers sich auch noch das Feld der Leihbibliotheken zu verschließen.


* Gemeint wohl der Artikel: Autorrecht und Leihbibliothek von Karl Emil Franzos (in: Börsenblatt f. d. dt. Buchhandel, Jg. 1884, S. 179–180, 217–219).

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