GHDI logo

Illustrierte Zeitschriften als Hebel zur Volksbildung (1868)

Seite 2 von 2    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Was die Illustration als Element der aesthetischen Volksbildung betrifft, so kann dieser Punkt nicht hoch genug angeschlagen werden. Wie weit sich auch die Werke der Architektur, Plastik und Malerei über ihre bescheidene Schwester, die Holzschneidekunst, erheben mögen, so fehlt ihnen doch, abgesehen davon, dass sie sich nur auf die wenigen großen Städte concentriren und auch dort nur einer ausgewählten Zahl verständnißvoller Kunstfreunde tiefern Genuss gewähren, gerade jenes Außerordentliche Wirkungsmoment des populären Interesses, welches die Illustration allen Klassen der Gesellschaft und aller Orten so vertraut macht. Wenn wir Bauwerke, Statuen, Gemälde als den Luxus des gebildeten Kunstgefühls weniger bezeichnen dürfen, so kann die Illustration mit Recht das tägliche Brot für den künstlerischen Geschmack des Volkes genannt werden. Ja, für jene höher stehenden Künste ist gerade die Illustration die thaetigste Dienerin; Tausende erfahren erst durch die Abbildungen in der Illustrirten Zeitung von dem Vorhandensein der großen Künstler und ihrer Werke und lernen dieselben kennen und achten. Denn wenn der Holzschnitt auch nicht die imponirende Größe und Pracht des Bauwerkes, die plastische Schönheit des Bildhauerwerkes, den malerischen Glanz des Gemäldes wiederzugeben vermag; was er dem Blicke darbietet, ist trotz allem doch das Wesentliche, nämlich der in der Zeichnung sich aussprechende Gedanke, der von allem bestechlichen Glanz der äußern Technik befreite, reine Inhalt der Künstlerischen Idee. Rechnet man hierzu noch die Porträts der Künstler selbst, welche jene Werke schufen, und den erklärenden Text, auf den das Interesse am Bilde ebenso hinleitet wie umgekehrt der Text wieder ein gesteigertes Interesse und ein tieferes Verständniß des Bildes hervorruft, so kann die Summe jener sporadischen Eindrücke, welche durch die Originalwerke erzeugt werden, nicht in Vergleich gestellt werden mit der ungeheuern Summe von Anregung, welche allwöchentlich durch die illustrirte Zeitungsliteratur in Millionen aus allen Ständen und allen Orten bewirkt wird.

Aber die Illustration als Element ästhetischer Volksbildung bietet noch eine andere wichtige Seite der Betrachtung dar. Wenn sie die Werke der bildenden Kunst ihrem Ideeninhalte nach zu einem Gemeingut der Nation macht, so dient sie andererseits den Werken der Dichtkunst als edelste Dolmetscherin ihres Gedankeninhalts, theils durch Veranschaulichung ihrer poetischen Gestalten und Handlungen in selbständigen Compositionen, theils durch die gefällige Symbolik der arabeskenartigen Randverzierung in Initialen und Randleisten. Hierin liegt vielleicht ein noch tieferer, weil unmittelbar den Geschmack bildender Einfluß auf das ästhetische Gefühl des Volks. Und kein Gebiet des dichterischen Schaffens ist dieser Verlebendigung verschlossen; das ernste Drama wie die naive Idylle, das pathetische Epos wie das sinnige Lied und die humorische Satyre, alle bieten dem Holzschnitt den Reichthum ihrer Schätze zur Verwerthung für den Genuss und die Bildung der Nation im großen und ganzen dar.

[ . . . ]



Quelle: „Die Illustration als Hebel der Volksbildung“, Illustrierte Zeitung 51, Nr. 1305 (1868), S. 3-4.

Abgedruckt in Max Bucher, Werner Hal, Georg Jäger und Reinhard Wittmann, Hg., Realismus und Gründerzeit. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1848-1880, 2 Bände. Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 1975, Bd. 2, S. 669-71.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite