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Arbeiterwohnungen in Chemnitz und Berlin (1890)

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Das Traurige an dem ganzen Wohnungswesen dieser Leute war vielmehr ein andres, schon oft beklagtes: das Mißverhältnis zwischen der Enge der Räume und der Zahl ihrer Bewohner. Solche eben geschilderte Wohnräume genügten wohl jungen, erst verheirateten Leuten mit ein oder zwei Kindern zu einem halbwegs gesunden, zufriedenen Wohnen: wo sich aber eins, zwei, drei Kinder mehr einstellten, und wo man um des bessern Auskommens willen noch gar Fremde in Kost und Logis zu nehmen gezwungen war, gab es dann Zustände, die sich leicht nachfühlen, aber schwer beschreiben lassen. Das aber war selbstverständlich die Regel. Weitaus die meisten Familien hatten eine Schar Kinder, hatten Schlafleute und Kostgänger. Tadellose Wohnungsverhältnisse gab es darum nur da, wo weder die einen noch die andern vorhanden waren: wenn kinderlose oder auch ältere Ehepaare, deren Kinder bereits erwachsen und versorgt waren, leidliches oder gar gutes Einkommen hatten, blieb man gern für sich und machte es sich freundlich, gemütlich daheim. So bei einem Stoßer, den ich mehrmals besuchte, dessen Jüngster eben aus der Schule war. Hier wars einfach reizend. Auch das waren noch günstige Verhältnisse, wo, wie in der Familie eines aus unsrer Kolonne, der in einem solchen ehemaligen zum Miethause umgewandelten Bauernhause wohnte, Vater, Mutter, eine erwachsene Tochter aus erster Ehe der Frau und drei kleine Kinder aus der jetzigen Ehe eine geräumige Eckstube, einen einfenstrigen Alkoven und eine Bodenkammer inne hatten: Da schlief das Mädchen in der letztern allein; die übrigen im Alkoven, und zwar das Kleinste in der umfangreichen Wiege, die zwei andern in einem und die Eltern auch in einem Bette. Solches allnächtliches Zusammenschlafen einmal der Eltern und dann von Geschwistern, auch schon größern, und dann auch von Bruder und Schwester in einem Bette war übrigens nach meinen Erfahrungen weitaus die Regel: nur bei zwei kinderlosen Ehepaaren fand ichs auch in diesem Punkt anders und besser; da hatten die Gatten je ein Bett für sich. Ungünstiger schon als bei der eben geschilderten Familie lagen die Dinge bei einer andern mir befreundet gewordenen, die aus den jungen Eltern, einem zweijährigen und einem halbjährigen Kinde und einem erwachsenen fremden Fabrikmädchen bestand, und die sich nur mit einem einzigen engen Zimmer zur ebnen Erde und der Dachkammer, wo jene Fremde schlief, begnügen mußte. In dieser einzigen Stube, die natürlich Wohnzimmer, Schlafzimmer, Besuchszimmer und Küche zugleich war, stand ein einziges Bett für die Eltern, ein Kinderwagen, ein Tisch, ein paar Stühle, eine Kommode, ein Kleiderschrank und Küchenzeug eng zusammen. Aber auch so wars noch verhältnismäßig gut. Es kommt noch schlimmer. Wieder ein Handarbeiter meiner Kolonne, bei dem ich am häufigsten war, der eine energische, fleißige Frau, ehemalige Köchin, zwei von ihm und ihr herzlich geliebte und sorgsam gehütete Kinder, ein Mädchen von etwa neun und einen Jungen von sechs Jahren hatte, bewohnte in einem mit Menschen vollgestopften Hintergebäude mit drei jungen Schlossergesellen aus unsrer Fabrik ebenfalls nur ein enges zweifenstriges Zimmer, einen Alkoven und eine Bodenkammer. Auch hier schliefen Eltern und Kinder je in einem Bette zusammen, und zwar so, daß diese zwei Betten fast den ganzen Raum einnahmen, die drei Burschen in der etwas geräumigern Bodenkammer ebenfalls nur in zwei Betten, also zwei einander fremde zusammen in einem Bette, und nur einer allein, wofür er natürlich entsprechend mehr zu bezahlen hatte. Wie verbreitet diese Sitte war, beweist die geringfügige Thatsache, daß ich, wenn ich auf meinen Wohnungssuchen meinen Wunsch zu erkennen gab, ich möchte gern „für mich," wie ich meinte, in einem Zimmer allein, schlafen, wohl fast immer dahin verstanden wurde, allein in einem Bette.

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