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Antrag des Herzogtums Nassau auf völlige Emanzipation der Juden (1846)

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Herr Deputierter Senfft: Zum Zeichen seiner Teilnahme an diesem Antrage und um zugleich manchem der Herren Gelegenheit zu geben, sich mit der Geschichte und Literatur dieser Angelegenheit näher bekannt zu machen, hat mich der Herr Pfarrer Dr. Haas zu Dickschied, Amt Langenschwalbach, beauftragt, jedem Mitgliede der beiden Ständeabteilungen sowie den Landesherrlichen Herren Kommissarien ein Exemplar seiner Schrift: „Das Staatsbürgerthum der Juden vom Standpunkte der inneren Politik beleuchtet" als Geschenk darzubieten. Nachdem ich mich dieses Auftrags entledigt habe, bemerke ich in Beziehung auf den gestellten Antrag selbst nur im allgemeinen, daß derselbe seiner Tendenz nach gewiß unsere ganze Aufmerksamkeit und sorgsamste Erwägung verdient. Es handelt sich dabei nicht bloß um eine gerechtere und günstigere Regulierung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden, sondern auch um unsere eigene Ehre und unser eigenes Wohl, denn es ist unzweifelhaft, daß wir diese befördern und erhöhen, wenn wir jene so ordnen, wie es das in unserer sittlichen Menschennatur und in dem Geiste des Christentums tief begründete, unabweisbare Gesetz der Gerechtigkeit und Humanität dringend fordert. Indem man dieses, vom Vorurteile geblendet, viele Jahrhunderte hindurch unterlassen, indem man den Juden die natürlichsten Rechte vorenthalten und sie zum Gegenstande der unnatürlichsten Beschränkungen und Bedrückungen gemacht hat, hat man den Partikularismus in diesem Volke genährt, hat man es zu einer feindlichen Absonderung gezwungen und es in einem Stande der Notwehr erhalten, welcher sich allerdings auf mancherlei, für den Staat nachteilige, oft verderbliche Weise geltend gemacht hat. Je mehr man in der neueren Zeit von jenen Vorurteilen zurückgekommen und den Juden eine würdigere und günstigere Stellung in der Gesellschaft eingeräumt hat, desto augenfälliger hat sich ein Streben nach Reformation unter ihnen gezeigt; desto unverkennbarer hat ihr Geist und Charakter im allgemeinen eine bessere Richtung genommen, und ich bin überzeugt, daß dieses mehr noch geschehen wird, daß sich die Juden dem Staatsleben immer völliger anschließen und assimilieren werden, daß der Name Jude, wie in Frankreich, Holland, Belgien etc. so auch unter uns, seine ehrenrührige Bedeutung ganz verlieren und nur noch als ein geschichtlicher Name fortbestehen wird, wenn wir an diesem Volke, das unbestritten reiche Keime der Intelligenz und des Guten in sich trägt und an dem vieles gut zu machen ist, volle Gerechtigkeit üben und es für uns gewinnen durch die unumwundene und offene Erklärung: ihr seid uns als Mitbürger mit denselben Rechten, wie wir sie genießen, willkommen, sobald ihr euch durch eure Religionsgrundsätze und eure Zeremonialgesetze in keiner Weise mehr zurückhalten laßt, alle staatsbürgerlichen Pflichten, gleich uns, zu erfüllen. Herr Deputierter Haas: Auch ich bin der Ansicht, daß es an der Zeit ist, die bürgerlichen Verhältnisse der Juden zu deren Gunsten zu ordnen und stimme daher dem Antrag des verehrlichen Mitgliedes bei, indem ich mich auf die zu dessen Begründung bereits hervorgehobenen Rücksichten beziehe. Die verehrliche Deputiertenkammer möge daher bei der Regierung eine Verwendung dahin eintreten lassen, daß im Wege der Gesetzgebung eine völlige Gleichstellung der Juden in bürgerlicher und politischer Hinsicht mit den christlichen Untertanen des Herzogtums, wie dies in Frankreich, Bayern, Holland, im Königreiche Württemberg und Kurhessen bereits geschehen ist, ausgesprochen werde.

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