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Richard Wagner, Was ist Deutsch? (1865/1878)

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So weit der frühere Aufsatz aus dem Jahre 1865. Er leitete auf das Projekt hin, die darin ausgesprochenen Tendenzen von einer zu gründenden politischen Zeitung vertreten zu sehen:

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Gewiß waren es aber auch andere Gründe, welche mich von einer weiteren Ausarbeitung des Begonnenen abbrachten. – »Was ist deutsch?« – Ich geriet vor dieser Frage in immer größere Verwirrung. Was diese nur steigern konnte, waren die Eindrücke der ereignisvollen Jahre, welche der Zeit folgten, in der jener Aufsatz entstand. Welcher Deutsche hätte das Jahr 1870 erlebt, ohne in ein Erstaunen über die Kräfte zu geraten, welche hier, wie plötzlich, sich offenbarten, sowie über den Mut und über die Entschlossenheit, mit welcher der Mann, der ersichtlich etwas kannte, was wir alle nicht kannten, diese Kräfte zur Wirkung brachte? – Über manches Anstößige war da hinwegzusehen. Die wir, mit dem Geiste unsrer großen Meister im Herzen, dem physiognomischen Gebaren unsrer todesmutigen Landsleute im Soldatenrocke lauschend zusahen, freuten uns herzlich über das »Kutschkelied«* und waren von der »festen Burg« vor, sowie dem »nun danket alle Gott« nach der Schlacht, tief ergriffen. Freilich fiel es gerade uns schwer zu begreifen, daß die todesmutige Begeisterung unsrer Patrioten sich immer wieder nur an der »Wacht am Rhein« stärke; ein ziemlich flaues Liedertafelprodukt, welches die Franzosen für eines dergleichen Rheinweinlieder hielten, über welche sie sich früher schon lustig gemacht hatten. Aber genug, mochten sie immer spotten, so konnte diesmal doch selbst ihr »allons enfants de la patrie« gegen das »lieb Vaterland, kannst ruhig sein« nicht aufkommen und verhindern, daß sie tüchtig geschlagen wurden. – Bei der Rückkehr unseres siegreichen Heeres ließ ich in Berlin unter der Hand nachfragen, ob, wenn eine große Totenfeier für die Gefallenen in Aussicht genommen wäre, mir gestattet sein würde, ein dem erhabenen Vorgange zu widmendes Tonstück zur Ausführung hierbei zu verfassen. Es hieß aber, bei der so erfreulichen Rückkehr wünsche man sich keine peinlichen Eindrücke noch besonders zu arrangieren. Ich schlug, immer unter der Hand, ein anderes Musikstück vor, welches den Einzug der Truppen begleiten und in welches schließlich, etwa beim Defilieren vor dem siegreichen Monarchen, die im preußischen Heere so gutgepflegten Sängerkorps mit einem volkstümlichen Gesange einfallen sollten. Allein dies hätte bedenkliche Änderungen in den längst voraus getroffenen Dispositionen veranlaßt, und mein Vorschlag ward mir abgeraten. Meinen »Kaisermarsch« richtete ich für den Konzertsaal ein: dahin möge er nun passen, so gut er kann! – Hierbei hatte ich mir jedenfalls zu sagen, daß der auf den Schlachtfeldern neu erstandene »deutsche Geist« nicht nach den Einfällen eines wahrscheinlich für eitel geltenden Opernkomponisten zu fragen habe. Jedoch auch verschiedene andere Erfahrungen bewirkten, daß es mir allmählich im neuen »Reiche« sonderbar zu Mute wurde, so daß ich, als ich den letzten Band meiner gesammelten Schriften redigierte, wie dies oben schon von mir bemerkt ward, meinen Aufsatz über: »was ist deutsch?« fortzusetzen keine rechte Anregung finden konnte.


* Berliner Gassenhauer.

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