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Ferdinand Avenarius über die schönen Künste: Erstausgabe von Der Kunstwart (1. Oktober 1887)

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Vergleichen wir das Kunstgewerbe unserer Tage mit dem vor zwanzig Jahren arbeitenden, so werden wir trotzdem keinen Augenblick den reichen Segen verkennen, den es auch in geistiger Beziehung gebracht hat. In den fast erstorbenen Formensinn der Gewerbtreibenden ist Bewegung gekommen. Und auf diesem einen Gebiete wenigstens ward eine deutlich spürbare Teilnahme Aller für ein Künstlerisches geweckt, so daß ein allmähliges Erstarken des Sinnes auch für die eigentliche, die hohe Kunst daraus für unser Volk zu erhoffen ist. Von der wirkenden Machtstellung aber, die das Kunsthandwerk im Bewußtsein der bildenden Künstler selber erlangt hat, zeugen seine Einflüsse auf Architektur und Plastik.

Wenden wir uns zur Betrachtung der Baukunst. Sie steht, wie die bildende Kunst des neunzehnten Jahrhunderts überhaupt, ohne organischen Zusammenhang mit der des achtzehnten da. Die Revolution und die napoleonischen Kriege hatten die Ueberlieferung zerrissen und wissenschaftliche Forschung auf Grund der Antike den Boden für ein Neues bereitet. In der Baukunst blühte es als unsere „klassizierende Architektur“ mit Schinkel. Es war eine Abstraktion, ans Altertum anzuknüpfen; der geschichtliche Sinn führte vom Altertum weiter. Man kam zu dem ihm Verwandtesten, zur italienischen Renaissance. Damit war der Weg gebahnt, auch in Frankreich, in den Niederlanden und vor allem in Deutschland den Anschluß für das Schaffen der Gegenwart zu suchen. Es war das Kunstgewerbe, das alsdann den Gang von der Renaissance zum Barock und zugleich vom streng Konstruktiven zum Dekorativen beschleunigte. Das Barock herrscht heute. Aber von allen Seiten sieht schon das Rococo herein. Bedeutsame Abzweigungen unserer Architektur am Rhein und in Hannover grünen während alledem fort auf dem Boden der Gothik. Woraus nun würde ein neudeutscher Stil erwachsen, wenn er überhaupt erwachsen würde? Am wahrscheinlichsten dürfte es sein, daß seine Keime nahe jener Gruppe von Baumeistern lägen, welche die reizvollen Gestaltungen der deutschen Frührenaissance mit modernem Geiste zu befruchten suchen. Scheinen sie doch einen Vorgang einzuleiten, dem verwandt, der uns schon einmal zur Zeit höchster Kraftentfaltung der Kunst ein wirklich Nationales schuf.

Die Bildhauerei unseres Jahrhunderts konnte unmittelbarer als jede andere Kunst sich an der Antike schulen, die leider nur gegenüber der Menge flacher Kopistenarbeiten, die erhalten geblieben, von der Mehrzahl ihrer Anbeter arg mißverstanden wurde. Dem Thorwaldsen’schen Klassizismus, der dem Schinkel’schen vergleichbar ist, stellte Schadow, der Schöpfer einer rücksichtslos nach Kennzeichnung strebenden Monumentalbildnerei, ein Nationales entgegen. Mit Rauch gelang eine Zusammenfassung beider Elemente zu einer wenigstens äußerlichen Einheit, mit der ein Kanon gegeben war, dem Jahrzehnte huldigten. Heute haben sich unsere Plastiker und zwar eher und mehr in Berlin und München, als in Dresden, an unbefangene Betrachtung der Natur wieder gewöhnt, und ein bald maßvoller, bald keckerer Realismus bezeichnet das Schaffen derer, „die mitsprechen“. Charakteristisch für unsere Zeit ist hierbei die Aufregung, welche die Frage der Polychromie unter den Bildhauern verursacht hat — eine Frage, die, von der Kunstwissenschaft angeregt, kaum ihre heutige Bedeutung erlangt hätte, käme nicht jene Betonung des Dekorativen hinzu, von der wir sprachen. Daß der farbigen Skulptur eine Zukunft bevorsteht, läßt sich nicht mehr bestreiten; wie viel von der Vielfarbigkeit auch die monumentale Bildnerei gewinnen wird, muß hier dahingestellt bleiben. Unterstützt wird vorläufig die Polychromie (abermals im Zusammenhang mit dem Kunstgewerbe) zumeist von der wiedererwachten Kleinplastik. Durch diese übrigens dürfte es der Skulptur auch gelingen, wieder volkstümlicher zu werden, als sie ist.

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