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Alfred Lichtwark, Antrittsrede als Direktor der Hamburger Kunsthalle (9. Dezember 1886)

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Aus dem Bestande des Kupferstich-Kabinets sind deshalb Sonder-Ausstellungen zu veranstalten, die in bestimmten Zwischenräumen wechseln. Wir hätten in dieser Weise ganz systematisch vorzuführen, was wir besitzen; einen Winter lang vielleicht die altdeutschen Kupferstecher; ein andermal die alten Italiener; dann einmal die Holländer des siebzehnten oder die Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts. Auch von unsern Photographien beabsichtigen wir Ausstellungen zu veranstalten, und zwar nach demselben Prinzip in einem bestimmten Zeitraum eine Schule in ihrem historischen Zusammenhang. Einführende Notizen in den Zeitungen würden diese Veranstaltungen zu begleiten haben. Ein eigener Saal neben dem Eingang ist für diese Zwecke vorgesehen, damit der Lesesaal vom durchgehenden Publikum nicht berührt wird. Sonderausstellungen aus dem Privatbesitz – eine solche über das Werk Ludwig Richter’s ist uns bereits von einem unter uns weilenden Herrn zugesichert – haben sich nach Möglichkeit anzuschliessen.

Unsere besondere Aufgabe beginnt bei der Lehrthätigkeit im engern Sinne. Wir können hier auf das Vorbild unseres Gewerbemuseums hinweisen, dessen Thätigkeit in ihrem vollen Wert verstanden und geschätzt wird.

Die Kunsthalle mit anders gearteten Sammlungsgegenständen verlangt jedoch eine eigenartige Behandlung, so dass wir auch hier nicht unmittelbar kopieren können.

Wir haben zunächst die Absicht, im Museum selbst vor den Dingen Vorlesungen zu halten. Durch Ihr opferwilliges Entgegenkommen haben wir schon daran gehen können, im Anschluss an die graphische Abteilung einen Hörsaal einzurichten, den wir im Hause haben müssen, um den Transport der Kunstgegenstände zu vermeiden; denn wir wollen nicht sowohl auf kunstgeschichtliches Wissen, auf Kunstphilosophie oder Ästhetik, als auf Kunstanschauung hinaus. Wir wollen nicht über die Dinge, sondern von den Dingen und vor den Dingen reden. Wenn wir uns dabei auch auf die Kunst vergangener Zeit stützen, so geschieht dies nicht, um von der Kunst unserer Zeit abzulenken, sondern um auf sie vorzubereiten. Es wird unsere besondere Aufgabe sein, für die Einführung in die englische Abteilung zu sorgen. Das Studium an Ort und Stelle in England muss uns selbst vorbereiten, der Besuch der grossen englischen Ausstellungen hat uns in stetigem Kontakt mit der englischen Produktion zu halten. Wir gedenken bereits im nächsten Herbst mit den Einführungen in die englische Abteilung anzufangen.

Im allgemeinen wollen wir nicht weitausladende Cyklen lesen, zu deren Besuch man für den ganzen Winter bestimmte Tage festzulegen hat, sondern einen abgeschlossenen Stoff in Gruppen von 4–8 Vorlesungen behandeln, z. B. die protestantische Kunst-Geschichte; die Geschichte des Genrebildes; Rembrandt; das holländische Portrait; und in ähnlicher Weise die italienische, spanische und französische Kunst. Für die Geschichte der niederländischen Kunst bietet uns, nebenbei gesagt, unsere Sammlung alter Meister das ausreichende Material.

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