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Alfred Lichtwark, Antrittsrede als Direktor der Hamburger Kunsthalle (9. Dezember 1886)

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Dasselbe gilt von einer Sammlung englischer Künstlerradierungen. Ich hoffe, Ihnen einmal durch die Ausstellung einer Privatsammlung zeigen zu können, was diese eigenartige Kunst bedeutet, die das ganze Gebiet des modernen englischen Lebens umschrieben hat. Wo es uns nur ausnahmsweise möglich sein wird, unsern Bestand an englischen Bildern zu vermehren, müssen wir uns an die Radierungen halten, die ja den vollen Kunstwert eines Originals haben. Es giebt in Deutschland noch keine systematisch gepflegte Sammlung. Man hat auch nirgend so, wie bei uns die Veranlassung, sie zu gründen. – Eine öffentliche Sammlung zur Geschichte des modernen Holsschnitts [sic] und der modernen Radierung in Frankreich fehlt in Deutschland ebenfalls. Bei uns würde sie der Charakter unseres Cabinets als selbstverständliche Ergänzung der deutschen und englischen Kunst fordern. Eine umfassende Sammlung dieser Art ist heute noch ohne allzu grossen Aufwand erreichbar und würde dem Gesicht unserer Kunsthalle einen eigenartigen Zug verleihen.

Diese Andeutungen mögen genügen, Ihnen ein Bild von der Erweiterung des Kupferstich-Cabinets im engeren Sinne zu geben.

An das Cabinet wird sich eine Kunst-Bibliothek zu schliessen haben. Wir brauchen ohnehin eine umfassende Handbibliothek, die auch dem Publikum im Lesezimmer jeden Augenblick zugänglich sein muss. Deren Erweiterung zu einer Fachbibliothek ergiebt sich von selbst, gerade so, wie die Handbibliothek des Gewerbemuseums sich mit Notwendigkeit über ihre ursprüngliche Anlage hinaus entwickelt hat. Eine Specialität unserer Bibliothek würde die Abteilung der Werke über englische Kunst bilden. Wir haben die Verpflichtung, alles zusammen zu bringen, was die Engländer selbst über ihre Kunst geschrieben haben. Der Anfang ist bereits gemacht. Mit der Sammlung englischer Holzschnitte und Radierungen im Kupferstich-Cabinet, die wir oben andeuteten, und unserer Galerie zusammen wird dann unsere Bibliothek ein in Deutschland ganz einzig dastehendes Material für das Studium der englischen Kunst bieten. Es handelt sich dabei, das werden Sie zugeben, nicht um ein phantastisches Projekt, sondern um die sachliche Entwickelung gegebener Bedingungen.

Es hat sich sodann dem Kupferstich-Cabinet eine Sammlung von Photographien einzuordnen. Sie bilden heutzutage die Grundlage des Studiums und müssen für die Geschichte der Malerei eintreten, wie die Gipsabgüsse für die der Plastik. Die Werke unserer nationalen Meister, der grossen Italiener, der grossen Holländer müssen in guten Reproduktionen vorhanden sein, um jeden Augenblick die bei der Benutzung der Bibliothek unerlässliche Anschauung gewähren zu können. Auch als Ergänzung zur englischen Abteilung ist unsere Photographiensammlung auszubilden. Man muss in unserer Kunsthalle die Nachbildungen der Hauptwerke wenigstens derjenigen englischen Meister zur Hand haben, von denen wir Originale besitzen. Durch eine derartige Erweiterung des Kupferstich-Cabinets werden wir ein umfassendes Material selbst für eingehende Studien zusammenbringen.

Damit hätten wir einen Überblick über die Vermehrungsthätigkeit der Verwaltung gethan. Es bleibt uns nun noch die dritte Aufgabe: die Nutzbarmachung.

In Bezug auf die Erleichterung des Zugangs und der gewöhnlichen Benutzung der Sammlungen folgen wir auch in dieser Beziehung dem Vorbilde der grossen Museen.

Es kann von dem vielbeschäftigten Hamburger Publikum nicht verlangt werden, dass es regelmässig das Kupferstich-Cabinet besuche und sich die Mappen zu behaglichem Studium heraus geben lässt. Wir müssen auf alle Weise den Zugang zu unsern Schätzen erleichtern.

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