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Antrag des Herzogtums Nassau auf völlige Emanzipation der Juden (1846)

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erzeigt, jeder bösen Gesinnung, die gegen sie verbreitet wird. Mag sein, daß es in früheren Zeiten einem gewissen Bildungsstande unter den Juden wie unter den Christen gemäß war. In unserm Jahrhundert steht gottlob die große Mehrzahl in allen Religionsparteien auf einer ganz anderen Stufe. Eine solche Bestimmung beschimpft die Gesetzgebung, welche sie zuläßt, weit mehr als die Juden, welche sie trifft. Ehedem bestand eine Judensteuer, gleichsam als Menschenzoll, steuerbare Religionsmeinung. Diese Steuer wurde aufgehoben, wogegen sie jetzt die Gewerbsteuer wie wir bezahlen zu ihrer so schweren Kirchensteuer. So z. B. zahlt der Wirt Simon Cahn in Soden allein 54 Gulden Kirchensteuer und dennoch keine Gleichstellung! Man war wohl immer dafür, daß die Juden gleiche Steuern zahlen, aber nicht, daß sie gleiche Bürgerrechte genießen sollten. Weniger beschimpfend, aber kaum leichter zu rechtfertigen, sind andere Beschränkungen, welche sie treffen. So z. B. darf ein Jude bei uns Arzt, aber nicht Apotheker sein. Er darf Arzneimittel verschreiben, aber nicht verkaufen. Handel zu treiben ist ihm erlaubt, Spezereigeschäfte sind ihm verboten. Die Inkonsequenz springt in die Augen. Solcherlei Bestimmungen bestehen eben, weil sie bestehen. Ein neues Gesetz kann sie unmöglich beibehalten. Den Zivilgemeinden sind die Juden in Nassau einverleibt, indem sie seit zwei Jahren einer Regierungsverordnung gemäß zu den speziellen Gemeindekassen beizutragen haben. Dennoch wurden sie zu den letzten Gemeindewahlen in Wiesbaden zwar eingeladen, aber nicht zugelassen. Jene Einladung, hieß es, habe auf einem Irrtum beruht. Vernünftigen Rechtsbegriffen gemäß war die Ausschließung ein Irrtum. Unsere Regierung hat, indem sie ihnen jene speziellen Abgaben auflegte, auch ihr Recht anerkannt, in Gemeindeangelegenheiten mitzustimmen, zu Gemeindeämtern mitzuwählen und mit wählbar zu sein. Sie wird hoffentlich nicht Anstand nehmen, dies gesetzlich auszusprechen. In der Tat werden sie in Preußen, wo ihnen die politischen Bürgerrechte noch entzogen sind, nichtsdestoweniger zu Munizipalämtern und Abstimmungen zugelassen. [ . . . ] (Es folgen Bemerkungen über die Verhältnisse in Württemberg und Frankreich.) Wenn also die genannten drei Nachbarländer, wenn bei uns in Deutschland Kurhessen den Juden die vollen politischen Bürgerrechte einräumten, wenn sie in Württemberg zu allen, in Baden wenigstens zu einigen Branchen des Staatsdienstes gelangen, in Braunschweig zu Landtagsabgeordneten gewählt werden können und wenn sich nirgends Nachteile, überall nur Nutzen für das Gemeinwesen daraus ergeben hat, wenn die preußischen Rheinlande sich auf dem vorjährigen Provinziallandtage mit großer Mehrheit und mit warmer Überzeugung für die volle Gleichstellung der Juden mit den Christen verwandt, so wäre es gewiß unrecht, wenn unser Nassau zurückbleiben sollte. Es wäre unverzeihlich, wenn auch ferner wie bis jetzt der Staatsregierung gesetzlich untersagt bliebe, das kleinste Ämtchen, die untergeordnetste Staatsbedienung einem Mann zu übertragen, den sie dazu geeignet findet, wenn dieser zufällig von jüdischen Eltern geboren und ehrlich genug ist, sich äußerlich nicht zum Christentum bekennen zu wollen, solange er innerlich nicht davon überzeugt ist. Ja, unsere erleuchtete Regierung hat selbst

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