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Paul de Lagarde über Liberalismus, Bildung und die Juden: Deutsche Schriften (1886)

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Man hat oft genug den Wunsch gehegt, eine konservative Partei zu gründen. Auch wer dies gethan, war selbst den Liberalismus nicht los, gegen welchen er doch zu kämpfen vorhatte. Die Gründung einer konservativen Partei ist eben auch eine Gründung wie alle anderen Gründungen, und wenn vielleicht auch zunächst irgend ein vermögender Geist aus seinen persönlichen Mitteln soviel hergäbe, um den Schein eines Erfolges hervorzurufen, auf die Dauer müßten die Dividenden bei dieser Gründung so gut ausbleiben, wie sie bei anderen Gründungen ausbleiben müssen. Nur die Natur lebt und zeugt, der Wille des Menschen kann das Erdreich von Steinen und Dornen säubern und kann es umgraben, er kann den Samen ausstreuen, aber nicht der menschliche Wille ist es, der die Saat aus dem von Gott mit Keimkraft ausgestatteten Samen in Gottes Luft und unter Gottes Thau und Sonne wachsen und gedeihen läßt.

Die konservative Partei – wenn ich einmal von Partei reden muß – wird an dem Tage entstehn, an welchem das königlich preußische Unterrichtswesen Altensteinscher Konfession über den Haufen geworfen, die Parteipresse zerstört, die Kirchenbildung frei gegeben, an welchem Familienehre als nothwendiges Erfordernis der Volksehre anerkannt, an welchem als unwiderrufliches Grundgesetz unsres Lebens verkündet worden ist, daß nur persönliche, verantwortliche, planmäßige Arbeit Werthe schafft, daß Alles was der Einzelne nicht selbst erwirbt, ihm und seiner Umgebung nicht zum Segen, sondern zum Unsegen gereicht, daß aber auch für Geist und Seele Niemand mehr bedarf, als was er selbst erarbeitet, weil niemals das Ergebnis und der Arbeitsstoff des Lebens, sondern immer nur das Leben das ist, worauf es ankommt.

Eine besonders entnervende Wirkung hat der Liberalismus auf die heut zu Tage im Mannesalter stehenden Gelehrten ausgeübt.

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Die jetzt im Mannesalter stehenden Gelehrten sind so gut wie Alle in einer religionslosen Atmosphäre aufgewachsen, die Religion aber ist es, welche dem Menschen eine Lebens- und Weltanschauung gibt, und es ist sehr schwer, daß Jemand, der nicht schon als Jüngling eine Lebens- und Weltanschauung irgend welcher Art besessen hat, als Aelterer sich eine solche verschaffe. Jene Gelehrten haben in Folge des beregten Mangels ihrer Erziehung niemals das Bedürfnis nach einer Weltanschauung empfunden, und sind so auf leicht erklärbare Weise dazu gelangt, liberal zu werden, das heißt, die einzelnen Fakta und deren Ordnung als das allein Nothwendige und das in diesem unverständlichen Leben allein zu Erreichende anzusehen.

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