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Beschwerdebrief der Essener Bergleute an den preußischen König über unzumutbare Arbeitsbedingungen (29. Juni 1867)

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Obwohl wir aber auch so vielen Unglücksfällen ausgesetzt sind, – wie viele Menschen haben nicht allein durch die gefährliche Seilfahrt ihr Leben verloren – so ist uns doch auch die so schöne und liebgewordene Einrichtung genommen worden, daß die Bergleute vor dem Anfahren gemeinsam mit dem verlesenden Steiger ihr Gebet verrichten. Anstatt des Morgens mit dem Gebetbuche, kommen viele Beamte jetzt mit rohen Flüchen in die Waschkaue und treiben die Bergleute eine Viertelstunde vor Anfahrt schon in die Grube. Wenngleich die Schicht durch das Morgengebet um etwa zehn Minuten verkürzt wurde, so ist es doch unverantwortlich, daß dieses Gebet auf fast allen Gruben in Wegfall gebracht worden ist.

Bei alledem sind die Gedinge [= Leistungslohn] so niedrig gestellt, daß wir trotz der übermäßigsten Anstrengungen allgemein in den drückendsten Verhältnissen leben. Gegenwärtig verdient ein mittlerer Arbeiter, wie die Mehrzahl ist, bei dem größten Fleiße während einer elfstündigen Schicht im Monat durchschnittlich 17 bis 18 Taler. Nur diejenigen, welche die lohnendste Arbeit haben, bringen es bis auf 30 Taler und darüber monatlich, die geringeren Arbeiter aber nur auf 9–10 Taler. [ . . . ] Für eine Familie von vier Personen betragen [ . . . ] die Kosten für die unentbehrlichen Lebensbedürfnisse [ . . . ] monatlich 20 Taler 25 Sgr., wobei auch Licht, Heizung, Kleidung, Schuhzeug, Hausgerät, Schulgeld und Steuern (15 Taler jährlich) noch gar nicht gerechnet ist, während der Arbeiter durchschnittlich im Monat nicht mehr als 15 bis 16 Taler verdient.

Gegen alle angeführten Notstände aber haben wir gegenwärtig sozusagen gar keinen tatsächlichen Schutz, teils weil das Kgl. Oberbergamt seinen Sitz in Dortmund hat, teils weil den Bergleuten nicht die Mittel zu Gebote stehen, ihre Klagen vernehmlich und mit Nachdruck vorzubringen.

Wenn aber auch das Gesetz vom 20. Mai 1860, welches unter Mitwirkung des aus den Dreiklassenwahlen hervorgegangenen Abgeordnetenhauses entstanden ist, den Gewerkschaften das Recht gibt, nach Belieben die Schicht zu verlängern und den Arbeitslohn herabsetzen zu können, so dürfen dieselben doch nach allgemeinen preußischen Gesetzen von diesem Recht nicht in einer Weise Gebrauch machen, bei welcher die Arbeiter körperlich und geistig zu Grunde gehen müssen.




Quelle: Klaus Tenfelde und Helmuth Trischler, Hg., Bis vor die Stufen des Throns. Bittschriften und Beschwerden von Bergleuten im Zeitalter der Industrialisierung. München: C. H. Beck,1986, S. 187-90.

Deutscher Text veröffentlicht in Wolfgang Piereth, Hg., Das 19. Jahrhundert. Ein Lesebuch zur deutschen Geschichte 1815-1918, 2. bearb. Ausg. München: C. H. Beck, 1997, S. 316-19.

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