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Beschwerdebrief der Essener Bergleute an den preußischen König über unzumutbare Arbeitsbedingungen (29. Juni 1867)

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Wenn wir früher freiwillig und ausnahmsweise bei Störungen im Betriebe, wie Zubruchgehen von Strecken, Reißen von Bremsseilen usw. einige Stunden über die achtstündige Schicht gearbeitet, auch wohl eine Doppelschicht gemacht haben, so ist das jetzt Zwang geworden, und wer sich nicht in die längere Arbeitsdauer fügen will, wird von der Zeche entlassen und womöglich mit einem derartigen Zeugnis versehen, daß er auf einer anderen Zeche keine Arbeit mehr bekommen kann. Auf der Zeche Bonifazius z.B. ist im vorigen Jahre der Belegschaft durch den Grubenverwalter mittelst Anschlages in der Kaue bekannt gemacht worden: „Von jetzt ab wird bis nachmittags vier Uhr gearbeitet; wer sich nicht fügen will, erhält seine Entlassung“ –, welche Drohung uns dann, weil wir wissen, daß es auf anderen Zechen ebenso geht, zur Abhaltung der Schichtzeit bis 4 Uhr nachmittags so lange zwingt, bis wir nicht mehr dazu imstande sind. Da aber die meisten Leute schon um 5 Uhr morgens einfahren, so sind das 11 Stunden. Wer dabei die Arbeit früher verläßt resp. früher in die Waschkaue tritt, wird gestraft. So ist auf den meisten Zechen jetzt eine 10–11stündige Schicht eingeführt. Zudem dauert die Förderung der Leute meist noch zwei Stunden. So lange Arbeitsschichten kann aber unser Körper unmöglich auf die Dauer aushalten, so erfreulich es auch ist, wenn die Gruben einen regen Absatz ihrer Produkte haben. [ . . . ] Nicht umsonst hat die hiesige Untersuchungskommission zur Aushebung für den Königl. Militärdienst die Wahrnehmung gemacht, daß die Bergleute in überwiegender Zahl zum Militärdienst untauglich sind. Es ist dies aber auch nicht anders möglich, wenn die jungen Leute den ganzen Tag in den unterirdischen Räumen, in schlechten Wettern und nassen Örtern arbeiten müssen, und wenn sie da, wo Kunst- und Seilfahrt besteht, am Ende der Schicht oft stundenlang mit von Schweiß durchnäßten Grubenkleidern im kalten Wetterzuge ausharren müssen, ehe sie zu Tage gefördert werden. Besonders die Brust wird bei übermäßigem Arbeiten auf der Grube frühzeitig beengt. Ist aber die Gesundheit der Leute oft schon mit 35 Jahren durch diese Überanstrengungen so angegriffen, daß sie nicht mehr in der Grube arbeiten können, oder daß sie nicht mehr dasselbe leisten können, wie die jüngeren Leute, die ihre Kräfte noch nicht geopfert haben, und erhalten sie von den Knappschaftsärzten gewöhnlich das Zeugnis „zu leichter Hüttenarbeit noch tauglich“, so haben sie keinen Anspruch auf Invalidenpension aus der Knappschaftskasse. Ist aber solche leichtere Grubenarbeit nicht zu bekommen, sind sie gezwungen, sich bei Privatleuten passende Arbeit zu suchen, so werden sie ihrer Rechte als Knappschaftsmitglieder vollständig verlustig, in ihrem frühen Alter erwartet sie das traurigste Los. Ja, die Gewerke sind so rücksichtslos, daß, wenn der Absatz auf den Gruben zeitweise schwächer wird, sie nicht, aber doch nur selten die jüngeren oder zuletzt angenommenen Arbeiter entlassen, welche doch viel leichter wieder anderweitig Arbeit finden können, sondern beinahe immer die älteren Bergleute, namentlich solche, welche in langjährigem, treuem Dienste oft mit Verachtung des Todes ihre Kräfte und ihre Gesundheit zu Nutzen der Gewerkschaft geopfert haben. [ . . . ]

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