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Louise Otto-Peters, Das Recht der Frauen auf Erwerb (1866)

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Ich habe schon die Preise angegeben, welche für einige weibliche Arbeiten bezahlt werden. Ja, wenn sie nur wirklich immer bezahlt würden! aber auch die armen Näherinnen müssen Credit geben und werden oft spät, zuweilen auch gar nicht bezahlt. Viele der wirklich Reichen haben keinen Begriff davon, was Arbeit ist und daß ein armes junges Mädchen, das nicht gerade zum Betteln gezwungen ist oder wie eine Bettlerin aussieht, ein paar Thaler sehr nothwendig brauchen kann. Die feinen Damen wissen auch oft nicht wie lange an einem Stück genäht werden muß und statt es nach sich selbst zu beurteilen, was sie doch könnten, sagen sie: Ja, wir arbeiten natürlich lange an so etwas, weil wir nicht darüber bleiben, aber bei denen, die den ganzen Tag nähen, fliegt die Arbeit nur so hin – es ist unglaublich, wie viel sie in einem Tag fertigbringen. Denn das ist auch herkömmlich, daß der Reiche nie von sich auf den Armen schließt, sondern daß er diesen geradezu als ein anderes Wesen, eine andere menschliche Gattung betrachtet, als sich. So kennen sie auch nicht die Sorgen und Bedürfnisse der verschämten Armen – ein paar Thaler oder Gulden sind für den Reichen so wenig, und darum wird eine solche Kleinigkeit oft wirklich vergessen. In diesem Vergessen aber liegt selbst der ganze Egoismus, die ganze Unnatur, die ganze Unchristlichkeit bei aller Frömmelei, Unmenschlichkeit bei allen öffentlichen Humanitätsbestrebungen der heutigen Gesellschaft!




Quelle: Louise Otto, Das Recht der Frauen auf Erwerb. Blicke auf das Frauenleben der Gegenwart. Hamburg, 1866, S. 19-20, 23-24.

Deutscher Originaltext veröffentlicht in Hartwig Brandt and Ewald Grothe, Hg., Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1815-1870. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2005, S. 106-8.

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