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Ein Schneider in einer pommerschen Kleinstadt (1870er Jahre)

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Hatte mein Vater z. B. einen Taler, so betrachtete er denselben mit ganz anderen Augen, als wie wir heutzutage diese ganz gewöhnlichen, ordinären drei Mark betrachten. Alle Wetter auch: das war ein »harter Taler«, ein »Rad«, und fast liebkosend glitt der Blick seines glücklichen Besitzers über das für ihn so außerordentlich wertvolle Geldstück. Was konnte man für einen Taler aber auch alles kaufen, und – wie schwer war er zu verdienen! Und wurde ein Betrag von 1,50 Mark vereinnahmt, oder – mußte er gar mit einem Male verausgabt werden, so sprachen wir nicht etwa geringschätzig von lumpigen 15 Groschen. Ach nein – das war ein »halber Taler«, ein »barer halber Taler«. Der Schweiß von anderthalb bis zwei Arbeitstagen klebte daran. So begreift es sich denn ganz von selbst, daß meine Eltern unter solchen Umständen mit jedem Pfennig rechnen mußten. Tatsächlich habe ich zu Hause auch nie ein Zehn- oder Zwanzigmarkstück gesehen, an einen Hundertmarkschein natürlich gar nicht zu denken.

Was Wunder, daß da bei uns Schmalhans Küchenmeister war. Ach die »Küche«! Nie werde ich sie vergessen, diese hinterpommersche Kost. Knapp, sehr knapp haben wir beißen müssen.

Des Morgens gab’s Kaffee. »Schlurck« nannte meine Mutter das edle Getränk. »Von 13 Bohnen 14 Tassen«, meinte sie zuweilen in einem Anflug von wütendem Humor. Murrend warf mein Vater dann ein: »Na, als Handwerker können wir aber doch nicht Mehlsuppe essen, wie die Tagelöhner.« Natürlich würde die Reputation der ganzen ehrenwerten Schneiderzunft darunter gelitten haben, wenn wir Mehlwasser anstatt Zichorienwasser genossen hätten! Als Zubiß erhielt dann jeder je nach Alter und Größe eine halbe oder ganze Pamel alias Schrippe.

Waren die Kaffeebohnen alle geworden und im Geldbeutel besonders starke Ebbe eingetreten, so mußten wir selbst auf die frugale Zichorienlake verzichten. Es wurde dann für ’nen Sechser Milch geholt und hier ein tüchtiges Quantum kochendes Wasser hinzugegossen. Damit diese dünne, bläulich-weiße Brühe dann nicht gar zu fad schmeckte, wurde sie kräftig mit Salz gewürzt. Probatum est!

Einst verhalf uns diese »Milch« wirklich zu einer denkwürdigen Art von Reputation. Da ich nämlich zur Schule in der Regel keine Frühstücksstulle mit bekam, teilte der Sohn eines Malermeisters öfters seine Stulle mit mir. Das sah eines Tages der Lehrer, und teilnahmsvoll fragte er mich, ob ich etwa gar mit nüchternem Magen zur Schule gekommen sei. »Nein, wir haben Milch und Pameln gehabt«, erwiderte ich prompt. Da meinte der gute Mann in eigentümlich gedehnter Betonung: »Na, wenn ihr des Morgens mit der ganzen Familie noch Milch trinken könnt –––« Das übrige konnte ich mir denken. Freilich, er hatte ja keine Ahnung davon, was das für »Milch« gewesen war. Mein Vater aber freute sich zu Hause königlich darüber, daß der Lehrer von dem peinlichen Verdacht abgekommen war, als könne es uns schlecht gehen! Und ich? Nun, ich hatte damals gerade etwas von optischer Täuschung in der Schule gehört.

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