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Auszüge aus der Flugschrift von Gabriel Riesser zur Emanzipation der Juden (1831)

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9. Diese Betrachtung führt mich auf den eigentlichen Wendepunkt der ganzen Theorie des Herrn Dr. P., ohne welchen sie in allen ihren Theilen über den Haufen fällt, nämlich darauf, daß er den Uebertritt zum Christenthum zu einer (und zwar im Grunde zu der einzigen) Garantie Deutscher Nationalität, also aus einem religiösen zu einem politischen Akte macht. Es ist unbegreiflich, wie ein Mann, der sein Leben lang die Trennung von weltlichen und kirchlichen Dingen vertreten hat, auf diesen Abweg gerathen, wie er jenes inhaltreiche Wort: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist," so ganz vergessen konnte, Wie? der Uebertritt zum Christenthum soll nicht die Anerkennung seiner Lehren, seiner Heiligkeit, seines göttlichen Ursprungs, sondern den Wunsch bedeuten, den anderen Bürgern an Rechten gleich zu sein? Solche Windungen und Wendungen glaube ich mit Recht schon früher mit dem Namen „Jesuitismus der Aufklärung" bezeichnet zu haben. Nur eine tiefe Verachtung der Religion kann sie zum Zeichen für etwas außer ihr liegendes, für etwas Anderes, als sie selbst ist, herabwürdigen wollen. Nur ein hoher Grad von Geringschätzung gegen den Staat kann als Gewähr dafür, daß man ihm angehöre, nicht die Erfüllung der Pflichten, nicht den Gehorsam gegen die Gesetze, die der Bürger ihm schuldig, sondern einen Akt verlangen, der einer ganz anderen Sphäre angehört und angehören muß. Die Religion hat ihren Glauben, der Staat hat seine Gesetze; das Bekenntniß des Glaubens führt zur Religion; der Gehorsam gegen die Gesetze macht zum Bürger des Staates; die Verwirrung beider aber führt zur Verkennung beider, zum Leichtsinn und zur Lüge.*) Was würde Herr Dr. P. dazu sagen, wenn man in einem katholischen Staate die Ausschließung der Protestanten damit rechtfertigen wollte, daß man verlange, sie sollten durch den Uebertritt zum Katholicismus sich „der Nation des Staates", die aus Katholiken bestehe, anschließen? Würde er nicht ein gewaltiges Geschrei erheben über Intoleranz, über Vermengung von Staats- und Kirchengewalt?**) Hält er aber seiner Kirche, weil sie ihm einmal als die bessere erscheint, Alles erlaubt, so vergesse er nicht, daß jede andere zu derselben Meinung von sich berechtigt ist.

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*) Es ist ein seltsamer Widerspruch, daß Herr Dr. P. es mir zum bittern Vorwurf wacht, daß ich den Uebertritt Vieler anderen Motiven als wahrer religiöser Ueberzeugung zuschriebe, und nun doch solche andere Motive rechtfertigt und vollkommen gelten läßt.
**) Es ist dieses keinesweges eine bloße Voraussehung. Es ist bekannt, daß man in Frankreich, so lange man Vorwande zur Verfolgung der Hugenotten suchte, ihre Isolirung, ihre Trennung von der Masse der Nation gegen sie geltend machte, und noch vor einigen Jahren las ich in der Münchener Eos einen Aufsatz, in welchem bewiesen werden sollte, daß man in der Bartholomäus-Nacht die Protestanten nicht als Ungläubige, sondern als Antinationale todtgeschlagen habe!

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