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Die Beschreibung der antisemitischen Verfolgung und der „Kristallnacht” sowie ihrer Folgen in der Region Stuttgart durch den amerikanischen Konsul Samuel Honaker (12. November und 15. November 1938)

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Nach einer Zeitspanne von deri Tagen, in der die Verfolgungsmaßnahmen gegen Juden in diesem Teil Deutschlands beispiellos waren, ist die Depression unter dieser Bevölkerungsgruppe unbeschreiblich geworden. Viele jüdische Frauen befürchten, dass ihnen das Schlimmste noch bevorsteht. Mit Grauen sehen sie dem Tag entgegen, an dem Herr von [sic] Roth begraben wird. In jüdischen Kreisen herrscht die Befürchtung, dass eine große Zahl der bereits im Gefängnis befindlichen Juden von den Behörden als Geiseln gehalten werden wird. Man hofft, dass Juden im Ausland und die ausländische Presse den deutschen Behörden keinen Anlass geben, die Verfolgungen und Festnahmen künftig noch zu intensivieren.

Reaktion der Menschen auf die beschriebenen Ereignisse:

Unter vielen konservativen Menschen in Stuttgart wird vermutet, dass das gewaltsame Vorgehen gegen die Juden in den letzten drei Tagen geplant und keineswegs eine spontane Aktion war, wie die deutsche Presse die Bevölkerung glauben machen will. Es wurde in Stuttgart rasch bekannt, dass das Vorgehen gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern mehr oder weniger gleichzeitig erfolgte. Ebenso rasch verbreitete sich, dass es in diesem Teil Deutschlands zu folgenden drei Maßnahmen kam:

a) Anzünden von Synagogen;
b) Zerschlagen von Schaufenstern und das erzwungene Schließen jüdischer Geschäfte sowie
c) die Verhaftung jüdischer Männer im großen Stil.

Diese Handlungen haben bei einem großen Teil der Bevölkerung Unbehagen ausgelöst und die Menschen rasch dazu veranlasst, ihrer mangelnden Zustimmung zu diesen Praktiken Ausdruck zu verleihen. Die Reaktionen der Bevölkerung waren allerdings unterschiedlich. Die überwältigende Mehrheit der nichtjüdischen Bevölkerung, vielleicht bis zu 80 Prozent, hat ihren Widerwillen gegen diese gewaltsame Machtdemonstration gegenüber den Juden unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Ja, viele Menschen senken ihren Kopf vor Scham. Andererseits haben sich vielleicht 20 Prozent der Bevölkerung über die Anwendung radikaler Maßnahmen befriedigt gezeigt.

Hochachtungsvoll,
Samuel Honaker,
Amerikanischer Generalkonsul


Original an Botschaft, Berlin
Kopie an Außenministerium, Washington
Kopie an Generalkonsulat, Berlin

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