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Memorandum vom Staatsministerium des Großherzogtums Nassau (1822)

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haben, der Erziehung ihrer Kinder eine andere Richtung als auf den Handel zu geben, weil ja weder Grundeigentum, Betrieb des Ackerbaues noch eines nützlichen Gewerbes, weder besondere Sittlichkeit und Bildung den übrigen Kindern, außer einem Glücklichen davon, die Rezeption verschaffen kann. 3. Die Nichtrezipierten, die doch ebenfalls leben wollen, werden und müssen moralisch schlecht werden, weil aller Sporn bei ihnen wegfällt, sie werden sich daher 4. an die rezipierten Normalfamilien anschließen müssen, die dadurch eine privilegierte Judenkaste werden und ein jüdisches Handelsmonopol erhalten. Statt also der Staat von vielen Gewerbsteuer zieht, wird er sie nur von wenigen Normalfamilien ziehen, die nicht rezipiert werden, anstatt dem Staat zu steuern, diesen Monopolisten dienstbar werden oder als scheinbare Knechte neben dem Interesse ihres Brotherrn das ihrige nebenher befördern. Der Handelsgeist wird also, statt niedergehalten zu werden, nur desto lebhafter geweckt werden und somit die Existenz der Normalfamilien sowie der nichtrezipierten – die man doch nicht hindern kann – auf Sitten und das bürgerliche Leben doppelt nachteilig einwirken. Statt also 5. gebessert zu werden, werden nicht nur die Normalfamilien, sondern die Nichtrezipierten schlechtere Glieder des Staats werden. Die Absicht, die Juden allmählich vom Handel und Schacher zu entwöhnen, sie den andern Staatsbürgern in Sitten und Gewerben, in Ackerbau und Industrie näher zu bringen, muß also notwendig verfehlt werden. 6. Wenn an der Stelle eines abgehenden Familienhaupts ein anderes rezipiert werden soll, so fragt es sich, wer ist dazu am ersten von Rechts wegen berufen. Ist es das Kind des Abgegangenen, dessen Erstgeborener, oder kann sich ein anderer, längst zurückgesetzter Nachgeborener dazu Hoffnung machen? Soll der, der eine Witwe heiratet, deren Geschäft erhält, ihre Kinder erziehen hilft, die Familie vor dem Bettelstab bewahrt, außer der Normalzahl oder nur in derselben rezipiert werden können? Ohne gesetzliche Bestimmung hierüber wird die Regierung mit Bittschriften bestürmt werden, jeder wird eine Ausnahme von der Regel begründen wollen, und wo ist der Maßstab des Rechts, wonach hier gehandelt werden soll, wenn es nicht bloß nach Willkür geschehen soll? So werden sich also Verwicklungen auf Verwicklungen häufen, und das Resultat muß sein, daß die Juden dabei nicht in der Kultur und Humanität vorschreiten, sondern darin Rückschritte machen müssen. Welches System wird aber dem besser zum Ziel der Verbesserung der Juden führen? Diese Frage wird sich am besten negativ beantworten. Religionsdruck, Verfolgung, Zurücksetzung, Verachtung, Bedrückung, Versagung jedes natürlichen Rechts, Zwang zu dem, was nur vom freien Willen abhängen kann etc. haben noch nie Gutes gewirkt und werden es auch bei den Juden nicht wirken. Unleugbar ist es, daß, seitdem die ehemalige gänzliche Abgeschiedenheit derselben, ihre Verachtung durch Leibzoll und andere Zurücksetzungen aufgehört haben, seit man sie zu Staats- und bürgerlichen Lasten zugezogen hat, sie also mit dem Staat, obgleich nur passive, mehr amalgamiert worden, die Juden in Sitten und Gebräuchen, in Einsicht und Betragen merklich

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