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Frau Marion Beymes Erinnerungen an Marburg und Berlin während der NS-Zeit (Rückblick, Anfang der 90er Jahre)

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Frau Beyme meinte, daß solche Erinnerungen, die sich von denen der Soldaten unterschieden, zu großer Entfremdung zwischen deutschen Männern und Frauen geführt hätten. »Eine blieb zu Hause und erlebte hier ganz gravierende Dinge, aufregende und ungewöhnliche Dinge, und der andere lebte in Rußland, in Frankreich oder irgendwo, oder in Gefangenschaft, und erlebte auch Dinge, die die Frau nicht nachempfinden konnte, fortwährend. Und dann kam er nachher plötzlich wieder, und das war sicher für jeden sehr schwierig und für manchen einfach unmöglich, wieder zusammenzufinden. Und die Frauen hatten eben auch gelernt, sich über vier Jahre hindurch völlig selbständig durchzuschlagen und sich in Notsituationen selber zu helfen und ihre Kinder zu beschützen und Geld zu verdienen und Essen zu besorgen – oder sogar was zu stehlen, wenn die sonst nichts zu essen finden konnten. Und die konnte nicht plötzlich wieder die treuergebene Ehefrau sein, die nur das tat, was der Mann wollte.«

Frau Beyme meinte, der Krieg habe auch ihre erste Ehe beeinträchtigt. »Weniger meine Selbstständigkeit, vielleicht auch etwas, aber die völlig verschiedenen Erlebnisse. Ich hatte mich eben auch immer noch stärker zu der anti-nationalsozialistischen Seite hin entwickelt. Und mein Mann merkwürdigerweise nicht. Ich weiß, er hat den Krieg nicht so von der schlimmsten Seite mitgemacht. Er war in keinem Gefecht, in keiner Schlacht. Er hat immer gut zu essen gehabt. Er war auch in Rußland, aber immer« – sie hielte inne – »etwas hinten.«

Und sie fuhr zögernd fort: »Es klingt vielleicht etwas pervers, aber ich habe manchmal gewünscht . . . daß er auch mal so was ganz Furchtbares erlebt. Das habe ich ihm manchmal gewünscht. Damit er überhaupt es [sic] richtig begreift, und damit es wirklich so bis in sein Inneres dringe und nicht so an der Oberfläche blieb.

O ja, er hat immer was mitgebracht, schöne Sachen«, setzte sie eher verächtlich hinzu. »Erst mal was zu essen und auch Kleidungsstücke. Ich glaube schon, daß er das bezahlt hat. Ich meine, er kriegte ja Geld, als Offizier, und konnte ja bezahlen. Aber trotzdem war das ja nicht sehr schön. Wir waren im Moment schon froh, wenn wir was zu essen bekamen, das ist klar, oder wenn ich etwas zum Anziehen für Kinder hatte. Aber ich habe es immer doch als sehr schlimm empfunden, daß wir den Ländern, die wir überfallen haben, auch noch was weggenommen haben.«

Wenn ihr Mann auf Urlaub zu Hause war, waren ihre politischen Differenzen nicht so groß, sagte sie. »Er war kein Nazi. Es war Pflichtgefühl. ›Sie tun es alle, was ich auch tue.‹«

Die wesentlichen Schwierigkeiten des Ehepaares waren nicht politischer, sondern persönlicher Art. »Ich bin in nichts irgendwie Mitglied geworden, außer 1944, also ganz zum Schluß. Ich wollte mich scheiden lassen von meinem Mann. Mein Mann wollte nicht, daß wir uns scheiden lassen, und ich hatte große Angst, daß er mir politisch irgend etwas tun könnte. Und daß ich dastände und hätte wirklich überhaupt nichts vorzuweisen, was ich je für das ›Dritte Reich‹ getan hätte. Dann habe ich mir überlegt, was kann ich um Gottes willen tun, damit ich irgendwas vorzuweisen habe? Da bin ich in die geringste Organisation gegangen, die was überhaupt gab . . . Das war so ein Wohtätigkeitsunternehmen.« Die Organisation, so bestätigte sie später, war die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV). (Es war dieselbe Organisation, die Frau Fischers beruflichen Werdegang vorangebracht hatte.) Über ihren Eintritt sagte Frau Beyme: »Ich weiß gar nicht, nachher, das ging so schnell drüber und drunter, ob ich je überhaupt was bezahlt habe. Ich hatte irgend so einen Zettel in der Hand, wo das draufstand.«

Was auch immer ihr Eintritt in die NSV zeigte, er erwies sich jedenfalls als sinnlos. »Er hat nicht versucht, mir etwas zu tun, politisch. Ich hätte das also nicht noch zu tun brauchen. Aber ich war mir ja nicht sicher, und ich hatte natürlich Angst um meine Kinder. Daß ich Angst vor ihm hatte, war es eigentlich nicht, weil ich dachte, er ist so ein großer Nazi, sondern er ist so empört über mich, daß ich weggehen will, daß ihm alles recht ist, weil er mir schaden wollte.«

Gegen Ende des Krieges, als die Scheidung noch nicht vollzogen war, machte sie eine Geste in die entgegengesetzte Richtung. »Drei oder vier Wochen, ehe der Krieg zu Ende war, war er hier auf Urlaub. Und ich wußte schon ganz deutlich – das konnte jeder wissen, der ein bißchen nachdenken konnte, beobachten konnten – daß es zu Ende geht. Daß wir den Krieg bald verlieren. Und da habe ich ihm gesagt: ›Bleib doch hier. Versteck dich hier und geh nicht wieder zurück.‹ Ich hätte ihn versteckt.«

Das Angebot war bedeutsam, denn Desertieren oder das Verbergen eines Deserteurs galt als Hochverrat.

»Und da hat er gesagt: ›Das kann ich nicht machen‹, und ist mit einem Fahrrad wieder dahin gefahren. Da fuhren keine Züge, es war ein großes Durcheinander überall, und da ist er mit einem Fahrrad losgefahren, damit er bloß da hinkam [zu seiner Einheit]. Dann ist er in Gefangenschaft geraten; Monate nach Kriegsende wußte ich nicht, wo er steckt. Und er hätte ruhig hierbleiben können. Aber das Pflichtgefühl hatte ihm gesagt: ›Nein, das darf ich nicht. Weitermachen.‹«

Was hielt er von ihrem Vorschlag? Fand er nicht, daß es lieb von ihr war?

Sie lachte. »Ich glaube nicht mal, daß er es so lieb gefunden hat, aber völlig unmöglich. ›Eine Frau weiß eben nicht, was die Pflicht eines Mannes ist.‹«

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