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Bericht von George Messersmith an das State Department [US-Außenministerium] zum gegenwärtigen Stand der antisemitischen Bewegung in Deutschland (21. September 1933)

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In der Anlage finden Sie den Fragebogen, den jede Person ausfüllen muss, die sich in Deutschland um eine Stellung im öffentlichen Dienst bewirbt oder ein Amt in einer offiziellen oder halboffiziellen Organisation anstrebt. Die interessanten Fragen finden sich auf Seite 4, wo der Bewerber zu sehr genauen Angaben über seine Eltern und Großeltern aufgefordert wird. Alle deutschen Beamten, ob hoch oder niedrig, müssen diesen Fragebogen, der sorgfältig geprüft wird, ausfüllen. Jene, die keine ihre arische Abstammung beweisenden Dokumente vorlegen können oder die nicht unter das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums fallen, werden ihres Amtes enthoben.

Ein Hinweis darauf, wie weit die antisemitische Bewegung geht, ist die Veröffentlichung eines neuen Telefonalphabets durch die Deutsche Post, das landesweit Anwendung finden soll. Beim Buchstabieren von Namen übers Telefon war es üblich, für den Buchstaben S „Samuel“ zu sagen, nun ist es „Siegfried“; und statt „Nathan“ für N buchstabiert man heute „Nordpol“.

Das State Department weiß von den Maßnahmen, die an den verschiedenen Universitäten und in allen deutschen Städten getroffen wurden, um die Bücher jüdischer Autoren aus den Bibliotheken zu entfernen. In diesem Zusammenhang ist der folgende Erlass des Preußischen Kultusministeriums an Universitäten, Hochschulen etc. von Interesse:

„Für wissenschaftliche Bibliotheken kommt die Beschlagnahme oder Zerstörung jüdischer oder marxistischer Bücher nicht in Frage. Die Ausleihe solcher Bücher muss jedoch in Zukunft mit der größten Sorgfalt gehandhabt werden. Sie können nur entlehnt werden, wenn der Benutzer beweisen kann, dass er sie für ernsthafte wissenschaftliche Forschungsarbeit benötigt“.

Als bezeichnend für die vorherrschende Stimmung möchte ich dem Department über eine Versammlung berichten, die am Abend des 18. September im Berliner Sportpalast stattfand. Es sprach zuerst Dr. Habicht, dessen Rede in einer Reihe von Berliner Zeitungen abgedruckt wurde. Ihm folgte Schulze-Wechsungen, der NSDAP-Propagandachef des Gaus Berlin. An der Versammlung nahmen an die 6000 Menschen teil, die mit Interesse und Begeisterung Wechsungens Rede folgten, in der er die Juden attackierte. Er befürwortete eine Erhöhung der Zahl von 40.000 derzeit in den Konzentrationslagern festgehaltenen Personen, da die Verlegung einer großen Zahl von Juden dorthin das Arbeitslosenproblem lösen würde. Er forderte die fortgesetzte Verfolgung der Juden in Deutschland und stimmte der Prügelstrafe für deutsche Frauen zu, die es wagten, sich in der Öffentlichkeit mit Juden zu zeigen. Seiner Meinung nach laufen viel zu viele Juden, die eigentlich in Konzentrationslager gehörten, noch frei herum, doch werde man sie einen nach dem anderen dorthin schaffen. Schließlich meinte er, die Juden hätten guten Grund, Gott dafür zu danken, dass Hitler der Führer der Nationalsozialisten sei. Wäre er nicht ihr Führer, würden die Juden nicht mehr existieren. Des Weiteren merkte er an, dass er als Propagandachef des Gaus Berlin angeordnet habe, künftig jedem arischen Mädchen, das sich in einem Restaurant oder auf der Straße mit einem Juden blicken lasse, eine ordentliche Tracht Prügel zu verpassen. „Die Aufgabe der Stadtverwaltung ist es, die Kanalisation in Schuss zu halten. Die Sturmtruppen der Nationalsozialistischen Partei müssen sich um die anderen Säuberungsmaßnahmen kümmern“. Diese Rede war so abscheulich, dass sie von keiner einzigen Berliner Zeitung zitiert wurde, und nur eine Zeitung erwähnte, dass Wechsungen bei der Versammlung überhaupt das Wort ergriffen hatte. Ein Korrespondent des New York Herald Tribune und des International News Service nahmen an der Versammlung teil und stenographierten Wechsungens Rede mit.

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